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Bildkonzepte: Es geht um den Leib

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Detailgenau und hochästhetisch ist Albrecht Dürers gegeißelter Christus in der „Grünen Passion", Weißhöhungen verleihen den Blättern große Lebensnähe und intensive Ausstrahlung. Eine anonyme Darstellung der Stigmatisierung des Heiligen Franziskus, um 1480 entstanden, Schmerzensmänner und Ecce Homo-Darstellungen (von Hans Wei-ditz, Urs Graf, Pietro Birago, Israhel van Meckenem und anderen), manchmal von den Leidenswerkzeugen Christi umgeben, geben den menschlichen Leib in seiner Verletzlichkeit und Ausgesetztheit wieder. Kreuzigungen (von Hans von Windsheim, Hans Baldung-Grien, Lucas Cranach d. Ä., Fra Beato Angelico, Dürer und anderen) zeigen Wundmale, Martyriendarstellungen des Sebastian, der Barbara, der Katharina, Johannes des Täufers lassen eine Vielzahl grausamer Tötungsarten erkennen. Und nicht nur bei der Darstellung der stillenden Jungfrau Maria, auch bei der sogenannten Gregorsmesse, einer Meßfeier, bei der Papst Gregor der Große vor dem Altar Zeuge der realen Präsenz Christi wird, dessen Blut direkt in den Kelch verströmt, spielen Körperflüssigkeiten eine wesentliche Rolle.

Dem stellt die Schau Werke zeitgenössischer Künstler gegenüber und bietet so gedankliche Entsprechungen an: Bill Violas „Himmel und Erde" (1992), bei dem zwei einander gegenüber positionierte Bildschirme die Videoaufnahmen eines Kleinkindes und einer Sterbenden wiedergeben, Hans Bellmers Fesselungen eines weiblichen Körpers, die dem Betrachter Schmerz verursachen, Ilse Haiders in einer Koje hinter tausend Stäben gefangene „Venus von Neapel" (1995), Valie Exports Video „Remote" (1973), in dem eine Frau sich selbst den Finger blutig schneidet, Marc Quinns Studie zu „Angst vor der Angst" (1995), in der ein menschlicher Oberkörper teilamputiert und nur durch ein Stabgerüst gestützt ist. Sexuelle Phantasien, Bild oder Plastik geworden, von Günter Brus, Marcel Duchamp, Jenny Holzer, Nancy Spe-ro oder Ilse Haider und vielen anderen ergänzen die Darstellungen von Gewalttätigkeit und deren Opfern - auch im geschlechtlichen Bereich.

Haben die mittelalterlichen Darstellungen die Aufgabe, den Betrachter mit dem Leiden Christi, Marias oder der Heiligen zu konfrontieren, ihn zum radikalen Mitleiden zu veranlassen und zur schmerzhaften Nachfolge aufzurufen, sind die zeitgenössischen Kunstwerke durch eine gesellschaftskritische Dimension (Feminismus) und wohl auch von starker Selbstaggression geprägt.

Und wenn die „Andachtsbilder" mit ihrem Blick auf verwundete Körper auch die Funktion des Abwehrrituals haben, das vor solchem Leiden bewahren soll, ist auch die religiös bedingte Leibfeindlichkeit im ausgehenden Mittelalter als Hintergrund zu sehen. Dieser steht in den zeitgenössischen Werken eine Suche nach dem Ich, ein Erforschen des eigenen Körpers gegenüber, das auch nicht von richtig verstandener Selbstliebe geprägt scheint. Die Gegenüberstellung hat jedenfalls mehrere Dimensionen und ist spannender, als der Ausstellungstitel es vermuten läßt.

(Täglich 10-18, Do bis 20 Uhr, Di geschlossen. Bis 31. Jänner)

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