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„Das Dorf" - eigentlich ein Einpersonenstück

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Nach „Oleanna", dem Theater-^ erfolg von David Mamet (in -L 1 Wien im Akademietheater), erscheint nun vom gleichen Autor der Boman „Das Dorf. Es kommen vor der Kleinkrämer, der Trucker Henry, dem seine Frau öd wird, der Polizist mit der Staatsgewalt im Bücken und noch ein paar Stereotypen. Dazu die junge Schlampe und im Hintergrund die Waffenleidenschaft der Dörfler, die allgegenwärtige Aggressivität.

Man wird in kurzen Szenen durch den Ort geführt: Tankstelle, Kneipe, Friedhof, Laden, Henrys Schlafzimmer. An den Bildrändern die grandiose Landschaft von New England. Der Text hat die Struktur des Films: kurze Einstellungen, oft nur Momentaufnahmen. Knappe Dialoge, halbe Sätze, halbe Worte. Die Sprache wirkt unstilisiert, wie mit versteckten Mikrofonen aufgezeichnet.

Eine Handlung gibt es kaum. Die Szenen sind autonom, nur verknüpft durch Orte und Personen. Was an Entwicklung bleibt, ist vorhersehbar, der Krämer macht seinen Bankrott, die Ehe Henrys verflüchtigt sich, am Ende gibt es indirekt ein Opfer, allerdings ein nicht vermutetes. Was aufmerken läßt von der ersten Seite an: Mikrohandlungen stehen für das reale alltägliche Geschehen. Es wird genauestens beobachtet, aber nicht seziert, sondern liebevoll. Der Beobachter drängt sich nicht auf, zielt nicht, trifft aber doch ins Schwarze: „Erfahrung gewinnt man nur, wenn man sie nicht anpeilt."

Über der Bealität liegt eine mitlaufende Reflexion, die Personen denken ständig mit. Die Innenwelt kommt zutage, mit ihren Sehnsüchten und Bedrohlichkeiten. Auch hier Respekt des Autors seinen Figuren gegenüber: er öffnet sie, aber er blamiert sie nicht. Der Leser wird Gedankenleser, aber nicht Voyeur. Die Hauptpersonen tragen verschiedene Namen und Kostüme, aber in ihrem Innern sind sie austauschbar: Ein Mann stellt sich in fünf Personen auf die Bühne. Der Roman als Einmannstück.

Dieser Er, dieses Ich, wird bei der Lektüre zunehmend sympathischer, wie er seinen Ofen liebt, geschwisterlich mit seinem Hund umgeht, zu seiner Frau zärtlich ist, selbst über ihre Unerreichbarkeit hinweg. Das Bedrohliche kommt von den Rändern her: Es äußert sich in Polizeiberichten, Jagdgeschichten oder in Erinnerungen an den Krieg. Bedrohlich ist nicht das Innere des Menschen oder das Dorf, sondern die Landschaft allgemein.

Etwa ab Buchmitte ändert sich der Stil. Das Bühnenhafte nimmt ab, die Beflexionen werden umfangreicher. Kostbare Miniaturen malt Mamet: Kürzestgeschichten, etwa über das Ingangsetzen einer Uhr, das Entzünden eines Feuers, die Sprachlosigkeit bei der Begegnung mit einer Frau. Die Prosa wird poetisch dicht.

In immer neuen Anläufen geht Mamet seine großen Fragen an: Was ist Zufriedenheit, Gewißheit, Weisheit, Glück? Was ist Wirklichkeit? Auf seinen Jagdgängen verfolgt er das greifbare Wild, aber in den Gedanken ist er dem Unbegreiflichen auf der Spur, kreist es in fortlaufenden Spiralen ein. Und wenn dem alten Mann am Ende doch noch der Barsch von der Angel geht, verschmerzt er den Verlust als Zen-Geschulter: „Ich habe zu sehr gekämpft". In vielem denkt man bei David Mamet an Peter Handke. Seine Lesergemeinde könnte manche Ähnlichkeit mit jener von Peter Handke haben.

DAS DORF

Roman von David MemeL Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 1995. 222 Seiten, Ln.,öS280,-

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