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Ein „Bruder“ der Anne Frank

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DAS TAGEBUCH DES DAVID RUBINO WICZ. Aus dem Polnischen übertragen von Wanda Bronska-Pampuch. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt. 88 Seiten und 4 Abbildungen.

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DAS TAGEBUCH DES DAVID RUBINO WICZ. Aus dem Polnischen übertragen von Wanda Bronska-Pampuch. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt. 88 Seiten und 4 Abbildungen.

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Am 21. September 1942, einem jüdischer Feiertag, der „Jom Kiepur" — zu deutscl „Jüngstes Gericht“ — heißt, verluden ir einem kleinen polnischen Städtchen namen: Suchedeniow SS-Männer rund 4500 zusammengefangene Juden in bereitgestellte Viehwaggons, die sich alsbald in Richtung Treblinka in Bewegung setzten. Das Lager das sich in der Nähe dieses Ortes befand war eine der großen Vernichtungsstätten die zur Ermordung jüdischer Menscher geschaffen worden waren. In der Zeit vom Juli 1942 bis September 1943 erlitten hiei nicht weniger als 800.000 Menschen, zumeist polnische Juden, die schauerlicht Passion der Gaskammer. Der Zug, der am

21. September 1942 wegfuhr, kam am

22. September um 11 Uhr 24 Minuten vormittags in der Eisenbahnstation Treblinka an und fuhr um 15.59 Uhr, wie der noch vorhandene deutsche Zugsbefehl sagt, leer zurück. Einige Stunden nach der Ankunft in Treblinka lebte niemand mehr von den Teilnehmern des Transportes, jeder hatte sein Leben aushauchen müssen.

Unter den Ermordeten befand sich auch ein jüdischer Bub von 14 Jahren, namens David Rubinowicz, Sohn eines kleinen jüdischen Kaufmannes Dieser David hatte durch zwei Jahre ein Tagebuch geführt, wie dies Buben in diesem Alter manchmal tun. Er hatte gerade das fünfte Heft ausgeschrieben, als er mit seinen Eltern den Marsch in den Tod antreten mußte* Seine Tagebuchhefte blieben in der leeren Woh nung zurück, wo się- ein Nachbar entdeckte und auf dem Boden versteckte. Viele Jahre später fand man sie beim Aufräumen des Bodens und warf sie auf einen Misthaufen. Aus Neugierde oder aus was sonst für Ursachen sah sich jemand die Hefte an und gab sie weiter. Schließlich kamen sie in den polnischen Staatsverlag, der sie veröffentlichte und der damit der Welt ein erschütterndes Dokument menschlichen Leides präsentierte.

Der kleine David Rubinowicz ist keine Anne Frank, er hat nichts von ihrem überscharfen Intellekt und ihrer überwachen Beobachtungsgabe. Er ist ein kleiner, aufgeweckter Bub aus Polen, der die Tragödie seines jüdischen Volkes erlebt und sie in schlichten, einfachen Worten aufzeichnet, die das Geschehen dieser zwei Jahre dadurch nur um so fürchterlicher erscheinen lassen. Wieviel Leid spricht aus diesen Worten eines Vierzehnjährigen, wieviel Ängste, wieviel Qualen, aber auch wieviel menschliche Größe. Denn weder ist der kleine David abgestumpft gegenüber dem Elend, das er erlebt, noch ist er angefüllt mit Haß gegen seine Gegner, einem Haß, der doch menschlich nur zu begreiflich wäre. Nur mit Erschütterung kann man dieses Buch zu Ende lesen, erfüllt von der Hoffnung, daß es viele Menschen in die Hand nehmen mögen, um das Grauen dieser vergangenen Tage zu bereuen und um weiteres Unheil zu verhüten.

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