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Herr H. ruft: ..Alles Walzer“

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Exhibitionisten sind unterwegs. Wenn das Volk vorbeikommt, schlagen sie den Mantel des Verzichts auseinander und flüstern ihm zu: Schau doch, was für eine schön entwickelte Scham ich jetzt habe. Das Volk aber geht achtlos vorbei und sagt: Atsch, ich habe schon schönere gesehen.

Politik bewegt nicht mehr. Eine noch so neue Pyramide bringt nichts mehr. Den Grundsatz der Pyramidenbauer, Maß zu nehmen an den Einkommen der Wirtschaft, hat ernsthaft noch 'niemand bestritten.

Den Grund satz, Maß zu nehmen am Volk (griechisch: demos) hat ernsthaft noch kein öffentlicher Demokratieträger erwogen.

Die Demokratieträger mögen sich an den demos binden, ans Durchschnitts- Familieneinkommen gemäß Statistischem Zentralamt (derzeit 30.000 monatlich, 360.000 jährlich). Das Doppelte für Abgeordnete, das Zehnfache für den Bundeskanzler. Steigt das Duchschnittseinkommen, kriegen sie mehr, fällt es, kriegen sie weniger. Bindung an den Polit-Er folg.

Das wäre demokratisch gerecht und praktisch schreiend ungerecht. Denn längst hat die Politik ihren Einfluß auf die Wirtschaft preisgegeben. Das ist der Ur-Grund der Staatskrise.

Ob's dem demos gut oder schlecht geht, ist kein Polit-Problem mehr, sondern ein ökonomisches Mysterienspiel: Euro, Globalisierung, Auslagerung der Produktion - die ehrliche Antwort der Politik wäre ein hilfloses Schulterzucken.

Politik ist nur noch Begleitmusik zur ökonomischen Tragödie.

Was den Durchschnittspolitiker betrifft, ist sein Spruch Ich will verdienen, was ich in der Wirtschaft kriegen würde ein unfrommer Wunsch. In der Wirtschaft würde er garnix kriegen, die täten ihn garnicht nehmen. Genau deswegen ist er ja in der Politik und nicht in der Wirtschaft.

Die Bangordnung der Einflußlosig-keit spiegelt sich in den Vorschlägen der Pyramidenbauer-Kommission des Bechnungshofes mit grausamer Genauigkeit: Die Abgeordneten sollen am wenigsten kriegen, sie sind gleichzuhalten, so die ausdrückliche Einstum.am fung,drittklas - sigen Nicht-Entscheidungsträgern in der Wirtschaft. Am wenigsten zu reden haben die, die im höchsten demokratischen Gremium sitzen. Das nenn ich Beal-Demokratie.

Zum Ausgleich haben die Obersten in der Polit-Pyramide auch nichts zu reden. Ihre Anbindung an die Gehälter von Spitzenmanagern (angeblich) ist eine bloße Höflichkeitsfloskel der Kommission. Daß es in der Wirtschaft keine Demokratie gibt (keine Wahlen, keine demokratische Verantwortlichkeit der Oberen gegenüber den Unteren), hat seine Gründe, und zwar ökonomisch gute; sonst wäre die Wirtschaft nicht so erfolgreich und so weiter. Die Nicht-Demokratie als Maßstab für die Demokratie ist eine Bankrotterklärung der Politik.

Das Hick-Hack, ob's bissei mehr sein darf oder bissei weniger oder doch nicht garsoviel • weniger, interessiert den demos nicht. Daß die Grünen, wenn in Amt und Würden, gegen das Herunterlizitieren sind, und der Bun deskanzler gegen das Herauflizitieren (es soll ihm um eine Million dazuge-juxt werden, um ihn endgültig hinzumachen) - das sind die Ausdünstungen aus der Kloake, zu welcher der ehrenwerte Parteienstaat verkommen ist. Mich interessiert nicht das Kostümfest, sondern die Demaskierung am Ende des Festes. Herr H. ruft in die letzte Ballnacht: „Alles AValzer! Bauft nur schön, es hilft euch nichts, nur mir.“

Weil der demos ja nicht blöd ist und längst begriffen hat, daß Demokratie kapituliert hat vor Ökonomie, vor der freiesten Brutal-Ökonomie aller Zeiten - deswegen ist das ganze Pyramiden-Spiel für dieKatz'. Ob sie weniger kriegen oder mehr, ja selbst wenn sie nullo kriegen täten - wenn die Pyramide endlich steht, grad oder schief, wird der demos von den Pyramidal-Demokraten genau so wenig halten wie vor dem Pyramiden-Bau.

„Da haben wir der Pyramide a Watschn geb'n“ - eine neue Variante eines alten österreichischen Glücksspiels.

Der Autor ist freier Publizist.

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