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Arterien aus Teflon

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Unter Gefäßprothesen versteht man halbsynthetische oder synthetische Röhren, die in physi­kalischen Eigenschaften und Funk-tion menschlichen Arterien (Schlagadern) gleichkommen und in der Gefäßchirurgie als Ersatz für Arterien verwendet werden. Sie kommen zum Einsatz, wenn gefäß­chirurgische Operationen ohne Ver­wendung von Fremdmaterial nicht möglich sind, zum Beispiel in der sogenannten Ausschälplastik, ei­nem operativen Verfahren, bei dem ein arteriosklerotischer Gefäßver­schluß durch Ausschälen innerer Arterienwandschichten samt dem Thrombus, dem Blutgerinnsel, be­seitigt wird. Eine andere Möglich­keit ist die Überbrückung (Bypass-verfahren) von Arterienverschlüs­sen mit körpereigener Vene.

Gefäßprothesen werden grund­sätzlich dann verwendet, wenn es gilt, Verschlüsse oder Aneurysmen, Ausweitungen von Arterien mit der Gefahr der Gefäßwandberstung und daraus resultierender schwe­rer Blutung, an großen Gefäßen mit acht Millimeter oder mehr Durch­messer operativ zu behandeln. Diese „großen" Arterien, die vom Herzen bis zur Achselhöhle und auf der unteren Körperhälfte bis zur Leiste reichen, sind Arterien vom elasti­schen Typ. Sie können insofern leicht durch Kunststoffprothesen ersetzt werden, als diese ähnliche physikalische Eigenschaften besit­zen wie die Arterien vom elasti­schen Typ. Peripher der Leiste beziehungsweise Achselhöhle, also weiter vom Herzen entfernt, sind jedoch Arter vom muskulären Typ zu finden. Deren Ersatz ist in idealer Weise durch körpereigene Vene (Venenbypass) möglich. Hie-zu dient meist die sogenannte Vena saphena magna, die große ober­flächliche Vene an der Innenseite des Ober- und Unterschenkels.

Voraussetzungen für den Einsatz als Gefäßprothese:

• Die biologische Wertigkeit. Die Prothese muß vom körpereigenen Gewebe aufgenommen werden, sie muß der Beanspruchung durch den Blutdruck standhalten, sie muß physikalisch und chemisch weitge­hend inert sein, das heißt auch bei jähre- oder jahrzehntelangem Ge­brauch ihre Wandeigenschaften beibehalten und darf sich weder in Länge noch Innendurchmesser än­dern.

• Die Antithrombogenität. Viele Prothesen sind mikroporös, das heißt, geringe Mengen Blutes wer­den kurz nach dem Einpflanzen durchgelassen. Das bewirkt bei geringstem Blutverlust die Ausbil­dung eines der natürlichen Arterie weitgehend entsprechenden Endo­thels, also einer entsprechenden Innenschicht der Gefäßwand. Durch diese „Innenverkleidung" der Gefäßprothese bilden sich kei­ne Thromben (Gerinnsel) an der Innenwand. Das künstliche Gefäß bleibt durchgängig für den Blut­strom.

• Geringe Infektanfälligkeit. Gefäßprothesen sind im Prinzip Fremdkörper, sie werden allerdings durch ihre Mikroporosität vom körpereigenen Gewebe integriert.

Man unterscheidet biogene und vollsynthetische Gefäßprothesen. Biogene Prothesen haben als Grundgerüst ein biologisches Blut­gefäß, zum Beispiel Nabelschnur­venen aus menschlichen Nabel­schnüren, die wegen ihres geringen Innendurchmessers gedoppelt wer­den müssen. Diese Nabelschnüre werden dann einem Denaturie-rungsprozeß unterworfen, so daß die Eiweißbestandteile der Gefäß­wand nicht mehr als Fremdeiweiß wirken und vom Patienten aufge­nommen werden können. Diese Nabelschnurvenen müssen außen mit einem dünnen Kunststoffnetz umhüllt werden, damit keine Ge­fäßausweitungen (Aneurysmen) entstehen. Es handelt sich hier also um ein aufwendiges Verfahren mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten. Nabelschnurvenen sind für den ohnehin problematischen Gefäßer­satz peripherer Arterien unterhalb der Leiste gedacht.

Als biologischer Gefäßersatz wur­den ferner Halsschlagadern von Kälbern und halbsynthetische Ge­fäßprothesen, die in Schafen gezüchtet werden, verwendet.

In der überwiegenden Zahl der Fälle werden vollsynthetische Ge­fäßprothesen verwendet. Es gibt Dacron- und Teflon-Prothesen. Sie eignen sich in erster Linie zum Ersatz großer Arterien über acht Millimeter Durchmesser im Brust-und Bauchraum. Es wurden aber spezielle, mit einem äußeren Ge­rüst verstärkte, sechs Millimeter weite Teflonprothesen entwickelt, die auch unterhalb des Leistenban­des mit Erfolg eingesetzt werden.

Die äußere Verstärkung hat den Zweck, eine Knickung der Prothe­se bei Überschreitung des Kniege­lenkes zu verhindern. Für diesen Gefäßabschnitt ist allerdings die körpereigene Vene (Venenbypass) nach wie vor am besten.

In welchen Körperregionen kön­nen nun Arterien durch Prothesen ersetzt werden? Dacronprothesen werden seit etwa 30 Jahren routi­nemäßig in der Gefäßchirurgie verwendet. Sie haben einen zieh­harmonikaartigen Aufbau und können daher in der Längsrichtung gedehnt werden. Ihre Porosität er­laubt ein Einwachsen umgebenden Bindegewebes und damit die Auf­nahme in den menschlichen Kör­per. Dacronprothesen werden zum Ersatz des Aortenbogens (herznahe Hauptschlagader mit Abgang von Halsschlagadern und Armschlag­adern) sowie der Aorta (Haupt­schlagader) im Brustraum verwen­det. Die letztgenannten Anwen­dungsbereichekommen hauptsäch­lich beim Aneurysma (Ausweitung, Berstung) dieser Arterien in Frage, da ein arteriosklerotischer Ver­schluß dieser Schlagadern wegen ihres großen Innendurchmessers (1,5 bis 2,5 Zentimeter) unwahr­scheinlich ist.

Das häufigste Anwendungsgebiet sind jedoch Aneurysmen und Ver­schlußprozesse (durch Arterioskle­rose) der Aorta im Bauchraum und der Beckengefäße. Große gefäßchi­rurgische Teams führen heute hundert oder mehr derartige Operatio­nen pro Jahr durch. In den genann­ten Anwendungsbereichen können ebensogut Teflonprothesen einge­setzt werden, die seit zehn bis 15 Jahren in ausreichender Qualität angeboten werden.

Die Teflonprothese bedeutet wahrscheinlich den wichtigsten Fortschritt in der prothetischen Gefäßchirurgie der letzten Jahre. Diese Prothesen sind innen und außen glatt, äußerst antithrombo-gen durch elektrisch negative In­nenwand und im Falle einer äuße­ren Verstärkung durch Kunststoff­spiralen oder -ringe auch knicksta­bil, wenn ein Gelenk überschritten werden muß. Sie eignen sich daher zur Behandlung von Verschlüssen der Oberschenkelarterien, wenn die Prothese bis unter das Kniegelenk geführt werden muß.

Operationen unter Verwendung von Gefäßpröthesen unterliegen ähnlichen Prinzipien wie die In­stallation flüssigkeitsführender Rohre. Gefäßprothesen überbrük-ken einerseits Gefäßverschlüsse, andererseits ersetzen sie eine aneu-rysmatisch veränderte (ausgewei­tete) Arterie. Jede eingepflanzte Ge­fäßprothese bedarf eines Blutzu­stromes durch ein intaktes Arteri­ensegment (vor dem Verschluß oder Aneurysma) sowie eines frei durch­gängigen Arteriensegmentes hinter dem Verschluß oder Aneurysma. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (schlechter arterieller Zu­strom oder Abstrom), würde das Blut in der Gefäßprothese wegen zu geringer Flußgeschwindigkeit oder zu geringem Blutabstrom stagnie­ren und schließlich gerinnen (Thrombose).

Unter den geschilderten, optima­len Voraussetzungen, die durch röntgenologische Gefäßdarstellung mit Kontrastmittel (Angiographie) vor der Operation ermittelt wird, ist eine Gefäßoperation in folgen­der Technik möglich: Die häufigste Gefäßoperation, der femoropopli-teale Bypass, beginnt mit der ope­rativen Freilegung der Oberschen­kelschlagader in der Leiste bezie­hungsweise Kniekehlenschlagader unterhalb oder oberhalb des Kniegelenkes. Sodann wird der Blut­strom durch Abklemmen der Gefä­ße unterbrochen, die Schlagader mit Skalpell oder Schere eröffnet und die Prothese mit zarter, fortlaufen­der Naht in die eröffnete Arterie eingenäht. Sie wird dann unmittel­bar neben der natürlichen, ver­schlossenen Oberschenkelschlag­ader bis oberhalb oder unterhalb des Kniegelenkes durchgezogen und nach Ausklemmung und Eröffnung der Arterie in diesem Bereich nun unterhalb des Verschlusses in das intakte Arteriensegment eingenäht. Die Gefäßklemmen werden geöff­net und der Blutstrom freigegeben. Im Idealfall sind Prothesenkörper und Einnähungsstellen der Prothe­se in die Arterie (Anastomosen) blutdicht. Der Verschlußder Weich­teile und der Haut durch Nähte beendet die Operation. Die Tech­nik bei Gefäßoperationen im Bauch-und Brustraum ist ähnlich.

Die im Bauch- und Beckenbe­reich am häufigsten durchgeführ­ten Operationen mit Gefäßprothe­sen haben eine Erfolgschance von 80 bis 90 Prozent Durchgängigkeit (im Oberschenkelbereich: 30 bis 50 Prozent) innerhalb der ersten fünf Jahre. Nach diesen fünf Jahren auftretende neuerliche Gefäßver­schlüsse sind selten. Zu berücksich­tigen ist dabei die an sich hohe Sterblichkeit der oft hochbetagten Patienten: Hauptsächlich Siebzig-bis Achtzigj ährige werden operiert. In 90 bis 95 Prozent der Fälle ist die Ursache für operationsbedürftige Gefäßprozesse die Arteriosklerose. Diese manifestiert sich auch an Herzkranz- und Gehirngefäßen. Herzinfarkt und Gehirnschlag, aber auch Niereninsuffizienz (Arterio­sklerose von Nierengefäßen) sind häufige Todesursachen bei Gefäß­patienten.

Die Verarbeitung und Haltbar­keit der Materialien ist heute aus­gezeichnet, die Operationstechnik wurde verfeinert, so daß die stati­stische Sterblichkeit an einer Ge­fäßoperation meist unter fünf Pro­zent liegt, die Frühfunktion der Gefäßprothese meist über 90 Pro­zent. Trotzdem verläuft die Ent­wicklung rasant, die Dilatation (Aufdehnung) und die Laserbe­handlung von Gefäßverschlüssen stellen hoffnungsvolle Zukunftser­wartungen dar.

Dozent Dr. Albert Tuchmann, Facharzt für Chirurgie und Additiv-Facharzt für Gefäßchi­rurgie, ist Oberarzt an der I. Chirurgischen Ab­teilung der Rudolfstiftung in Wien.

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