6796695-1971_14_05.jpg
Digital In Arbeit

Das Roulett mit den Heizkosten

Werbung
Werbung
Werbung

Selbst die Treuesten der Treuen haben die Nase voll; nämlich die Bewohner der Per-Albin-Hansson- Siedlung am südlichen Stadtrand von Wien-Favoriten. Und das in einer sozialistischen „Mustersiedlung”, die nicht zufällig nach dem schwedisch- sozialdemokratischen Idol Hansson benannt worden ist. Die etwa dreißigtausend wahlberechtigten Seelen dieser Gemeinde lieferten bis dato bei jeder Wahl der SPÖ ihre Stimme ab.

Anlaß dafür, daß die Volksseele zum Kochen kam, war das Verrechnungsdebakel der „Heizbetriebe Wien Ges. m. b. H.”. Die Heizwerke überrumpelten die Mieter in diesen Wochen ohne vorherige Ankündigung mit exorbitant hohen Nachzahlungen für die vergangene Heizsaison. Bei manchen Mietern sind es bis zu 7000 Schilling.

Die flehentlichen Hilferufe der bedrängten Mieter verhallten im Rathaus ungelhört — vielleicht auch deshalb, da die „Heizbetriebe Wien Ges. m. b. H.” zu hundert Prozentim Besitz der Gemeinde Wien ist.

Die Wurzeln dieser äußerst seltsamen Verrechnungspolitik sitzen tiefer, als man zunächst annehmen würde. Während zahlreichen Mietern formlos Nachzahlungen ins Haus flatterten, warten andere noch immer auf die Rückerstattung der 1969/70 zuviel gezahlten Heizkosten. Damit haben die Heizwerke die Liquidität eines konkursreifen Unternehmens erreicht: Lizitieren auf der Einnahmenseite, Bremsen auf der Ausgabenseite. Daß es von der Konikursreife bis zum tatsächlichen Konkurs bei der Gemeinde Wien noch ein sehr weiter Weg ist, wurde wiederholt unter Beweis gestellt. Hier, bei einem „gemeinnützigen” Betrieb, ist natürlich nicht mit einer Einstellung zu rechnen.

Wenn die Mieter könnten, wie sie wollten, würden sie gerne auf die sehr bequeme, aber teure Wärmezustellung ins Haus verzichten und die Heizkörper einfach abmontieren, das aber wäre nach dem Mietvertrag ein Kündigungsgrund. Wohnt man also in der Per-Albin-Hansson- Siedlung, so kann man den Heizkostenerhöhungen einfach nicht entkommen, auch wenn man alle Radiatoren äbwürgt.

Plus 25 Prozent

Zu den offensichtlichen finanziellen Schwierigkeiten der Heizwerke gesellen sich noch die organisatorischen. Jedes Viertel in der Per-Al- bin-Hansson-Siedlung beispielsweise hat ein eigenes Tarif schema: einen Einheitstarif, egal wie groß die Wohnung ist, eine Einstufung nach dem tatsächlichen Verbrauch und einen Tarif nach der Wohnungsgröße. So ist es verständlich, daß sich der Pulsschlag des Südfavoritners erhöht, wenn er Heizwerke-Rechnun- gen öffnet — es ist reines Roulett, es ist alles „drinnen”, nur kein Gewinn.

Die beträchtliche Baukosteniüber- schreitung bei der Errichtung des Fernwärmewerkes Spittelau scheint die Gemeinde nun im Fa1’ der Per- Albin-Hansson-Siedlung auf den Konsumenten abzuwälzen zu wollen, wobei das Argument ins Treffen geführt wird, daß für höher gelegene Orte auch höhere Kosten auflaufen. So groß können diese Kosten aber nicht sein, daß sie in den letzten Jahren jeweils eine Erhöhung der Vorauszahlungen um etwa 25 Prozent erforderlich gemacht hätten.

Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen um die „Heizbetriebe Wien Ges. m. b. H.” brachte* «die ÖVP- Fraktion im Rathaus zwei Anträge ein, in denen sie eine Neuorganisation der gemeindeeigenen Energieträger und eine Überprüfung des Gemeinde-Heizunternehmens durch den unabhängigen Rechnungshof forderte. Während die Wiener Sozialisten in der Beantwortung der ersten Anfrage wenigstens Zugaben: „Derzeit sind Gespräche betreffend die Herbeiführung einer Koordinierung mit den Versorgunigsleistungen der Stadtwerke im Gange”, lehnten sie eine Überprüfung durch den Rechnungshof entschieden ab. Auch die Verlage eines wirtschaftlichen Berichtes über die Lage der „Heizbetriebe Wien Ges. m. b. H.” wurde mit der Begründung zurückgewiesen, „daß die notwendige Transparenz in bezug auf den Gemeinderat gegeben ist”.

Mieterprotest

Nun haben die Mieter selbst die Initiative ergriffen. Bei einer kürz- lichen Versammlung im Volksheim auf dem Stockholmerplatz wurden die Angaben der Heizwerke widerlegt, es gäbe lediglich etwa dreißig!!) Unzufriedene. Der zweihundert Personen fassende Saal des Heimes, ja das gesamte Heim seihst reichte nicht, die aufgebrachten Bürger, die den halben Stockholmerplatz besetzten, aufzunehmen.

Man ließ kräftig „Dampf” ab und sprach von Skandal, verfehlter Gemeindepolitik, Zahlungsstreik an die Heizwerke und gerichtlicher Lösung dieses Problems.

„Wenn wir uns zusammentun, dann sind wir eine Macht, die die Genossen fürchten werden”, rief sogar ein SPÖ-Eunktionär, und die Menge quittierte es mit heftigem Beifall. Dementsprechend fiel auch die Protestresolution der Mieterversammlung aus. Man fordert von der Gemeinde endlich einen einheitlichen Tarif von drei Schilling pro Quadratmeter und droht mit Protestaktionen.

Die Unzufriedenheit der Faivoritner wird zunächst am 31. März in einem Protestmarsch der Mietergemeinschaft der Per-Albin-Hansson-Sied- lung gegen die Bezirksvorstehung des zehnten Bezirkes, gipfeln: Sozialisten im Marsch gegen Sozialisten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung