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Die Säbel rasseln im Süden Lateinamerikas

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Ein kräftiges Säbelrasseln aus dem Süden Lateinamerikas ließ in jüngster Zeit immer mehr politische Beobachter dieses Kontinents aufhorchen und jeder stellte die bange Frage: „Bahnt sich zwischen Argentinien und Chile eine größere kriegerische Auseinandersetzung an?“ Denn der Konflikt zwischen den beiden Staaten um die Zone des Beagle-Kanals und südlich von ihm spitzt sich zu.

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Ein kräftiges Säbelrasseln aus dem Süden Lateinamerikas ließ in jüngster Zeit immer mehr politische Beobachter dieses Kontinents aufhorchen und jeder stellte die bange Frage: „Bahnt sich zwischen Argentinien und Chile eine größere kriegerische Auseinandersetzung an?“ Denn der Konflikt zwischen den beiden Staaten um die Zone des Beagle-Kanals und südlich von ihm spitzt sich zu.

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Die Auseinandersetzung um das genannte Gebiet dauert schon seit der Unabhängigkeitserklärung beider Länder an. Beide Staaten berufen sich auf historische Quellen, ihre Verfassungen, Protokolle und einander widersprechende geographische Werke. Argentinien weist den Schiedsspruch der englischen Königin über die Souveränitätsansprüche am Beagle-Kanal zurück. Buenos Aires behauptet, daß nach einem Vertrag von 1882 alle am Pazifik liegenden Inseln zu Chile, die Inseln auf der Südatlantikseite zu Argentinien gehören. Chile erklärt den Vertrag für längst überholt und besteht auf dem Schiedsspruch der englischen Königin, durch den ihm die Inseln Pickton, Lenox und Nüeva an der Mündung des Beagle-Kanals in den Südatlantik zuerkannt wurden. Argentinien beharrt dagegen auf der von ihm ausgesprochenen Nichtigkeitserklärung, weil die Schiedsrichter über Fragen geurteilt hätten, die ihnen nicht unterbreitet worden seien. Es besteht darauf, daß die Grenzen zwischen den beiden Staaten von dem durch Kap Hoorn gehenden Längengrad bestimmt wird.

Dabei geht es in Wirklichkeit längst nicht mehr um die drei mit Steppengras bewachsenen Felsen Pickton, Lenox und Nueva, die zwischen 80 und 130 Quadratkilometer groß und fast unbewohnt sind. Vielmehr beruft sich Chile auf die nach dem neuen Seerecht bestehende exklusive Wirtschaftszone

von 200 Seemeilen. Das Gebiet, das die Chilenen im Südatlantik in Anspruch nehmen, wird von den Argentiniern mit einer Million Quadratseemeilen angegeben.

Die große Erregung, die in den militärischen und politischen Kreisen Argentiniens herrscht, erklärt sich aber vor allem aus dem verletzten Nationalstolz. Die riesige Zone im Südatlantik galt als „das argentinische Meer“. Entgegen der grotesken Äußerung Pinochets, daß sich in Argentinien nur einige Marxisten gegen den Schiedsspruch auflehnten, ist eine starke nationale Protestbewegung festzustellen. Dabei hält die argentinische Be-

hauptung, der Schiedsspruch sei nichtig, kritischer Betrachtung nicht stand. Die Chilenen erklären, es habe noch kein zivilisierter Staat einen Schiedsspruch unerfüllt gelassen. Die „argentinische Ehre“ stehe auf dem Spiel, um so mehr, als dieses Land für seine legendäre Vertragstreue bekannt sei.

Deshalb ist die Zurückweisung des Schiedsspruchs „zur Verteidigung der Souveränität“ ein ebenso ungewöhnlicher wie schwerer Schritt.

Als kürzlich der argentinische Präsident Generalleutnant Jorge R. Videla in dem südchilenischen Ort Puerto Montt mit seinem chilenischen Gegen-

Spieler General Augusto Pinochet zusammentraf, um die Einsetzung einer Kommission zu vereinbaren, hielt Pinochet zur Empörung der Argentinier außerhalb des vorgesehenen Protokolls eine Rede, in der er erneut erklärte, die Grenzziehung sei definitiv durch das Urteil der britischen Majestät erfolgt. Damit hatte er den Maximalstandpunkt seiner Forderung aufrecht erhalten, womit er begreiflicherweise die Gäste aus Argentinien im höchsten Maße verärgerte.

Innerhalb der argentinischen Militär-Junta gibt es beachtliche Gegensatze. Die Flotte, die für die Meeresgrenzen federführend ist, spielt ganz offensichtlich mit dem Gedanken, einen Krieg gegen Chile zu entfachen. So hatte der Flottenchef Admiral Emilio Massera schon vor dem letzten Treffen Videlas mit Pinochet erklärt: „Der Worte sind genug gewechselt worden.“ Massera weiter: „Ich bin besorgt, daß das Land sich der Konfliktsituation nicht bewußt ist... Wir müssen immer für einen bewaffneten Zusammenstoß gewappnet sein, und wenn es zu ihm kommt, werden wir bereit sein, unsere Souveränität zu verteidigen.“ Ein deutlicheres Säbelrasseln hat man sogar in Lateinamerika seit langem nicht gehört.

Dem gegenüber ist der Präsident und Chefkommandant des Heeres, Generalleutnant Videla, unbedingt für eine friedliche Lösung. Als Massera eine seiner Brandreden hielt, sagte Videla am Nachmittag alle Audienzen ab, berief seine Heeresgeneräle zu einer Blitzkonferenz ein und hielt ostentativ am Abend eine Friedensrede über alle Sender. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß Massera die Erfüllung einer früheren Vereinbarung verlangt, nach der das Amt des Chefkommandanten von dem des Präsidenten abgetrennt werden soll. Videla lehnt das zumindest zur Zeit ab. Aber bei diesem Machtkampf mag es sich entscheiden, ob es Frieden oder Krieg im Südatlantik geben wird.

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