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Diener zweier Herren

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Lavr Divomlikoff, ein Unbekannter auch für seine Verleger, hat ein makabres Buch geschrieben. Ein Agent des sowjetrussischen Geheimdienstes, ehemaliger Partisanenkämpfer, bekommt den Auftrag, ein Priesterseminar zu besuchen und nach seiner Weihe die Aufgaben eines orthodoxen Priesters zu versehen, um von innen her die vom Regime angenommenen Machenschaften der kirchlichen Würdenträger zu beobachten und dem Geheimdienst zu melden. Zu den Obliegenheiten des Priesters Grigori gehört die Führung einer Kartei, in der er alle verbotenen religiösen Tätigkeiten seiner Beichtkinder vermerken muß, damit diese einst zur Rechenschaft gezogen werden können. Grigori soll sich gut tarnen, um möglichst schnell in der kirchlichen Hierarchie aufzusteigen und Bischof zu werden, als der er, wie seine Auftraggeber meinen, besondere Möglichkeiten der Bespitzelung haben würde.

Doch es kommt anders. Grigori ist ein zuverlässiger Spion, aber gleichzeitig kann er sich dem Einfluß seiner christlichen Umgebung nicht entziehen. In einem Gespräch mit einem seiner Vorgesetzten des Geheimdienstes, sagt dieser zu Grigori:

„Leutnant, ich glaube, daß Sie der außergewöhnlich lange Aufenthalt in kirchlichen Kreisen, zu dem Sie gezwungen waren, zu einer ganz und gar nicht marxistischen Einschätzung der Dinge geführt hat... dieser Zwanzigjahresauftrag scheint mir ein Irrtum zu sein; noch dazu, da er Sie schädlichen Einflüssen aussetzt, und zwar für eine viel längere Zeit, als es normalerweise unseren Vorschriften entspricht, beziehungsweise der menschlichen Widerstandskraft angemessen ist...“

Grigori hält sich weiterhin für einen Atheisten, bemüht sich aber von Anbeginn, ein „guter“ Priester zu sein, der selbst verbotene Amtshandlungen vornimmt. Einmal denkt er: „Der Geheimdienst kann nicht irren, da er der Regierung dient, und die Regierung ist unfehlbar. Es sind noch dieselben Worte, aber jedes einzelne klingt jetzt ironisch. Es entbehrt nicht einer .gewissen Pikan-terie, daß gerade die Kirche, diese Spinne in einem Netz von Aberglauben, mitgeholfen hat, mich klüger zu machen.“

In seiner letzten Messe hat Grigori das Gefühl, daß ihm zum erstenmal in ihr Christus selbst begegnet. Nach dieser Messe wird der falsche Priester verhaftet und erfährt nun am eigenen Leibe all die Folterungen, die er früher an anderen vorgenommen hat.

Das Ende der Geschichte ist besonders absurd. In Gefängnis sinniert Grigori: „Man kann nicht zwei Herren dienen, und ich, der ich mein ganzes Leben lang nichts anderes getan habe, kann ich sicher sein, daß ich jetzt nur noch einem diene?“ Wer hat wen besiegt?

Es kommt zu keiner Entscheidung, Grigori wird ebenso plötzlich, wie man ihn ins Gefängnis steckte, wieder aus ihm befreit. Ein neuer Vorgesetzter, der „moderne Ideen auf dem Gebiet des Kampfes gegen die Religion“ vertritt, entläßt den Häftling mit dem alten, neuen Auftrag, sich um das Bischofsamt zu bemühen. Grigori denkt: Christus verweigert mir das Martyrium, ich bin ein Verdammter. Er nimmt den Auftrag an und wird „ein Bischof, der für den Glauben schon gelitten hat“. Auf der letzten Seite des Buches stehen die schrecklichen Worte:

„Im Allerheiligsten, abgeschirmt durch die Ikonostase, verbirgt sich ein dicker, verschlagener Greis... Er weiß alles, mit einer weltmännischen Handbewegung hatte er gesagt: ,Sie werden immer noch Zeit für das Martyrium finden ... Seien Sie nicht ängstlich. Sie verraten Ihre weltlichen Herren nicht wirklich, da Sie eines Tages ihrem Zorn nicht entgehen werden

Was soll man dem hinzufügen? Eine Lösung bleibt aus, keine Entscheidung für den einen oder anderen Herrn. Die dumpfe Verwobenheit beider Sphären macht dem Leser zu schaffen. Ist dies wirklich „eine neue Erfahrung, eine wichtige Einsicht in unser aller Leben“, wie es im Klappentext des Buches behauptet wird?

Sicher ist das Buch kein reines Phantasieprodukt seines Autors. Gerade darum ist es so schrecklich, daß man einer Stellungnahme ausweicht.

DER VERRÄTER. Roman von Lavr Divomlikoff. Aus dem Französischen von Kauki Venjakob. 284 Seiten. Paul Zsolnay Verlag, Wien—Hamburg 1973.

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