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Exerzitium der Seele

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Einen Festredner zur Eröffnung der sommerlichen Salzburger Festspiele am Anfang des Festes zu fragen, was er denn an jenem 26. Juli 1980 seinem Publikum sagen möchte, nachdem er mit seinem „Mozart”-Buch nicht wenige Leute auch in Salzburg aufgeregt hatte, grenzt an Zumutung für den Redner.

Dennoch: Wolfgang Hildesheimer entzieht sich dem Gespräch nicht. Zunächst kreist es noch um Mozart: „Was ich den Leuten sagen wollte, ist, daß Mozart nicht faßbar ist.”

Es wird aber nicht das Thema Mozart sein, viel mehr das Thema Musik, das den Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer als Musikkenner und -liebhaber in die Nähe von Gabriel Marcel, des französischen Existentialisten und seiner Rede von 1972 treibt - „Musik als Heimat der Seele”. Hildesheimer formuliert es nicht so, sondern zitiert den Philosophen Leibniz „Musik ist arithmetisches Exerzitium der Seele, wobei sich diese nicht bewußt ist, daß sie zählt”; die Seele zählt; die alte Zahlenmystik spielt herein und die Verbindung von Zahl und Ton, vielleicht von der Zahl der Schwingungen eines Tons; das Unbewußte tritt in sein Recht. Wie bei Mozart.

Zu dem Thema hat Hildesheimer noch einige rechtfertigende Hinweise bereit, die seine Leistung zum Mozart-Bild ohne „Firnis Tür eine große Anzahl nicht vergrößern und nicht verkleinern. Und dann: „Ich habe noch nie eine Festrede gehalten, habe es wirklich noch nie getan, aber dieses Mal wollte ich es tun.”

Salzburg scheint ihn überzeugt zu haben, mehr aber Mozart - immer wieder - und dessen Sonaten für Klavier und Violine, die er fast jeden Abend in seinem Haus in Poschiavo hört.

Das Gespräch gleitet über zur Arbeit Hildesheimers an der Biographie eines Mannes, den es nie gegeben hat: den englischen Ästheten Marbot, der Goethe und Schopenhauer getroffen hat. „Musik kommt dabei kaum vor, denn Uber Musik kann man nicht schreiben, das entzieht sich den Worten, erwähnt Marbot beiläufig”, zitiert sich Hildesheimer selbst.

Der Rückschluß ist deswegen erlaubt, weil Hildesheimer seinen Marbot in Urbino leben läßt, zumindest gegen Ende seines Lebens, dazwischen findet man Marbot in Rom und Paris bei Delacroix und damit nichts passiert, hat Hildesheimer eine eigene kulturgeschichtliche Tafel aufgehängt, „da wird er eingerädelt, er konnte Heine in Italien nicht mehr begegnen; aber Platen hat ihn besucht und Turner, er selbst besuchte Leopardi und 1825 Goethe. Für mich ist dieser Mann bereits existent, jetzt muß ich nur noch versuchen, ihn den anderen Leuten nahe zu bringen.”

Und resümierend: „Eine echte Biographie kann man nur schreiben über jemanden, der nicht existiert hat.”

Logischerweise ist das Mozart-Buch keine Biographie, („mit Mozart hatte ich schon abgeschlossen, weil ich meinte, was ich zu sagen hatte, schon gesagt zu haben”), aber Hildesheimer hofft noch immer, die Gegner seines Buchs von seinem Standpunkt zu überzeugen, „daß Mozart nicht faßbar ist, daß wir ihn nicht domestizieren können wie Paumgartner oder Bruno Walter in seinem Zauberflötenaufsatz „Der Mozart der Zauberflöte” es getan hatten. Sonst, wenn ich die Rede nicht gehalten hätte, würde mir das Thema als Arbeitsthema jetzt völlig fern liegen ... aber man muß zu beweisen versuchen, daß aus Mozarts Musik seine Befindlichkeit nicht ersichtlich ist.”

Salzburgs sommerliche Befindlichkeit stammt nicht zuletzt von ihren Festrednern.

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