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Läßt eine Idee Kassen klingeln:

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Als Idee zur Selbsthilfe machten die Genossenschaften Karriere - und Geschäfte. Wie steht es heute mit dieser Organisationsform in den verschiedenen Gesellschaftssystemen?

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Als Idee zur Selbsthilfe machten die Genossenschaften Karriere - und Geschäfte. Wie steht es heute mit dieser Organisationsform in den verschiedenen Gesellschaftssystemen?

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Genossenschaften als Selbsthilfeorganisationen entstehen als Reaktion auf das Auftreten wechselnder Situationsforderungen und als Ergebnis unterschiedlicher Zielvorstellungen: Individuen schließen sich in Selbsthilfeorganisationen zusammen, weil sie davon die Befriedigung sowohl materieller als auch immaterieller Bedürfnisse erwarten, die ihnen durch andere Wirtschaftssubjekte (insbesondere durch den Staat oder privatwirtschaftliche Unternehmen) vorenthalten werden.

Es gibt heute eine starke Tendenz unter den Genossenschaften, Von JOHANN BRAZDA

Theorie und Ideologie zu vermeiden und sich statt dessen auf das „Geschäft“ zu konzentrieren. Diese Einstellung ist aber zu überdenken, da jede Organisation oder Institution zunächst einmal auf der Grundlage von Ideen und Begriffen aufgebaut wird, an die Menschen glauben und die sie jederzeit vertreten würden. Auch bei Genossenschaften muß man die grundlegenden Ideen erkennen und verstehen, denn diese Ideen bestimmen ihre Richtung. Es soll deshalb im folgenden auf einige Richtungen von Genossenschaften in verschiedenen Gesellschaftssystemen eingegangen werden (siehe Kästen).

Die Genossenschaften in den Industrieländern änderten ihre Erscheinungsform in bestimmten Phasen gesellschaftlicher Umwandlungsprozesse: In einer emotionalen Phase bestand die Hauptfunktion der Genossenschaften in einer Stabilisierung der Lebensform solcher Bevölkerungskreise, deren Bedürfnisse durch freie Konkurrenz auf dem Markt und durch den Staat unterversorgt blieben. Im Vordergrund stand aber nicht nur die Versorgung mit Gütern und Leistungen durch eine Organisation wirtschaftlich wirksamen Solidarverhaltens, sondern ein ganz spezieller Eigenwertcharakter: die soziale Struktur wurde durch stark emotionale und traditionelle, auf die jeweilige Lebensform bezogene Verhaltensweisen gekennzeichnet.

Die zweite Phase war durch eine Funktionalisierung genossenschaftlicher Aktivitäten gekennzeichnet. Die Mitglieder nahmen keine Randstellung im Sozialleben mehr ein, und ihre Organisationen wurden zu wirtschaftlichen Zweckverbänden in der Gesamtwirtschaft unter Herausbildung vielgestaltiger Sekundärorganisationen. Der Selbsthilfecharakter wurde durch aufgabenorientierte Organisationen (Bürotechnik) verdrängt. Zwar wirkten die ursprünglichen Leitbilder der Mitgliederdemokratie fort, sie wurden jedoch von den genossenschaftlichen Führungsgruppen strategisch interpretiert, entsprechend den jeweiligen Anforderungen der wirtschaftlichen Situation.

In einer Konzentrationsphase entstanden genossenschaftliche Stufenverbände, das bedeutet eine kooperativ organisierte Funktionsübertragung und Funktionsverbindung zwischen Wirtschaftseinheiten mit vor- oder nachgeschalteten Erzeugungsund Absatzstufen, verflochten mit 'anderen Wirtschaftseinheiten.

In den Industriestaaten mit erfolgreicher Genossenschaftsentwicklung wurde diese Phase zumindest teilweise bereits erreicht. Eine dem Gruppenwettbewerb und der Rationalisierung angepaßte sachbezogene Organisati-ons- und Leitungsstruktur repräsentiert eine erhebliche Marktmacht, steht aber ihrerseits unter unausweichlichen Sachzwängen des Kapitaleinsatzes und der Kapitalverwertung.

Insbesondere sind es folgende Strukturveränderungen von hochentwickelten Genossenschaften, die zu beachten sind:

• ökonomisierung der Mitgliederinteressen;

• Oligarchisierung der Willensbildung mit wachsendem Einfluß hauptberuflich tätiger Experten;

• fortschreitende Bürokratisie-rung der Konsensbildung zugunsten des Unternehmensaspektes;

• eine rein aufgabenorientierte Organisation verdrängt den Selbsthilfecharakter der Genossenschaften;

• Verbundbildung: Intensivierung mehrstufiger betrieblicher Organisationen zu Lasten der

Gruppenautonomie von Primärgenossenschaften.

Zusammenfassend läßt sich für die Zukunft des Genossenschaftsgedankens und der praktischen Umsetzung dieser Idee für alle Wirtschafts- und Gesellschaftsformen das sagen, was der kanadische Universitätsprofessor Alexander F. Laidlaw vom internationalen Genossenschaftsbund schon am Beginn der achtziger Jahre formuliert hat:

Er meinte, wenn die Genossenschaften im Jahr 2000 noch existieren wollen, müssen sie sich Gedanken über die Führer und geistigen Väter der zukünftigen Entwicklung machen. Wie wird es gelingen, die ursprüngliche Botschaft weiterzuvermitteln? Kann Erziehung im Genossenschaftswesen stimuliert und interessant gestaltet werden? Welche Rolle kommt der Regierung des jeweiligen Landes zu? Woher wird das erforderliche Kapital kommen? Welche Form des Managements wird die der Genossenschaft adäquate Form sein? Welchen Platz und welche Rolle wird die Frau in der Genossenschaft einnehmen? Wer wird konkret den Genossenschaften in der Dritten Welt helfen? Und haben Genossenschaften - in welcher Ausformung auch immer — Relevanz in der Zukunft?

Der Autor ist Assistent am Forschungsinstitut für Genossenschaftswesen an der Universität Wien.

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