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Abschied von LPGs

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Ungarns christlich-nationale Koalition konnte wieder frohlocken: mit der Zustimmung der immer laut- und profilloser werdenden Oppositionsparteien schaffte sie neulich die Verabschiedung zweier Gesetze, die den Weg zur marktwirtschaftlichen Umstrukturierung weiter ebnen sollen.

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Ungarns christlich-nationale Koalition konnte wieder frohlocken: mit der Zustimmung der immer laut- und profilloser werdenden Oppositionsparteien schaffte sie neulich die Verabschiedung zweier Gesetze, die den Weg zur marktwirtschaftlichen Umstrukturierung weiter ebnen sollen.

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Das sogenannte Genossenschaftsgesetz beziehungsweise das Übergangsgesetz betrifft mehr als fünf Millionen Menschen, die in den 1.341 LPGs beziehungsweise in den mehr als 5.000 Industrie- oder Dienstleistungsgenossenschaften tätig sind.

Zunächst einmal geht es um die Beseitigung der alten Strukturen; das Übergangsgesetz regelt die Aufteilung des Vermögens. Es sieht vor, daß jeder, der am 1. Jänner 1991 und am Tage des Inkrafttretens des Gesetzes Mitglied einer Genossenschaft war beziehungsweise eine mindestens fünfjährige Mitgliedschaft nachweisen kann, Anspruch auf Vermögensanteile hat. Erben jener Landwirte, die seinerzeit von den Aktivisten des Kädär-Regimes mit Gummiknüppeln und anderen Einschüchterungen zum Eintritt in die LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) - also zum Verzicht auf ihr Eigentum - gezwungen worden sind, erhalten aber nur dann einen Anteil vom einst geraubten Gut, wenn ihnen dies von der Mitgliedschaftsversammlung zugesprochen wird.

Dabei spielt der Wert des einstigen Gutes so gut wie gar keine Rolle. Begründet wird dies von den Gesetzgebern mit dem Argument, daß auch Angestellte einer Genossenschaft das Anrecht auf Vermögenzuteilung hätten, da ein großer Teil des gegenwärtigen Vermögens ihrer Arbeit zu verdanken sei. Darüber hinaus sei keine der Genossenschaften reich genug, um jeden Berechtigten völlig zufriedenzustellen; ein kleines Opfer müßte also schon jeder bringen. Überdies gehe es ja gar nicht um Entschädigung, zumal dafür ein ganz anderes Gesetz zuständig sei.

Das stimmt, wie es auch zutrifft, daß das Entschädigungsgesetz für die Betroffenen Schadenersatzbeträge in

einer Höhe vorsieht, die die meisten nicht nur als beschämend empfinden, sondern auch deshalb ablehnen, weil sie befürchten, das Recht auf den Vermögensanteil in der Genossenschaft auf diese Weise zu verlieren.

Juristisch gesehen sind nämlich die Zusammenhänge noch nicht geklärt worden. Die Ungewißheit unter den Mitgliedern wächst auch schon aus dem Grunde,, weil an der Spitze der Genossenschaften nach wie vor die alten Führungen stehen, deren Schalten und Walten in der Vergangenheit von keinem effektiv kontrolliert werden konnte. Doch mit der Gegenwart sieht es auch nicht besser aus: die Zahl jener GesmbHs, die neben den diversen Genossenschaften seit den Wahlen mit ungeklärtem Kapital gegründet worden sind, liegt bei 4.000.

Ungeklärtes Kapital

Das neue Gesetz sieht eine genaue Rechenschaftsabgabe über den gegenwärtigen Stand der Dinge vor, es beinhaltet jedoch die Kontrolle von unten erst nach der Neugründung. Bis dahin ist also die Piste frei - die Spuren der Unterschlagungen und Manipulationen ähnlicher Art können noch getrost verwischt werden. Das Genossenschaftsgesetz, das gleichzeitig demokratisch, zeitgemäß, klassisch und aufgeschlossen sein soll, dürfte diesen Vorsätzen theoretisch sogar gerecht werden. Für die Praxis gibt es aber schon einige Fragezeichen. Das Prinzip des Ein-Mann-Eine-Stimme zum obersten Gebot zu machen, übt jedoch keine besondere Anziehungskraft auf ausländische oder gar auf einheimische Investoren aus, die nicht einsehen wollen, warum beispielsweise eine Reinigungskraft mit ihrer Stimme die gleichen Rechte ausüben kann wie die Person, die ein millionenschweres Kapital mit gebracht hat.

Dabei handelt es sich keineswegs um eventuelle gesellschaftliche Vorurteile, sondern um eine rein wirtschaftliche Überlegung, der man sich einige Schritte westlich der Landesgrenze längst bewußt ist. Die über anderthalb Jahre, die mit der Ausarbeitung beziehungsweise ständigen Abänderung der Vorlage vergangen sind, hätten sicherlich ausgereicht, um auch die Praxis in einem entwickelten Land etwas eingehender zu studieren.

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