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Bedeutung und Organisation des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in Oberösterreich

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Gerade in der Gegenwart steht im besonderen das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen im Brennpunkt der wirtschaftlichen Auseinandersetzungen. Die Vorwürfe, die in erster Linie an die Adresse der landwirtschaftlichen Genossenschaften gerichtet sind und mit denen man diese zu diskriminieren versucht, häufen sich mehr und mehr. Sie besagen unter anderem, „die Genossenschaften seien der Wegbereiter zum Kollektivismus, zur Vermassung, sie würden den Weg zur Verstaatlichung ebnen, die landwirtschaftlichen Genossenschaften seien die Vorstufe zur Kolchose im Sinne des marxistischen Wirtschaftssystems“. Besonders angeprangert werden die angeblichen Bestrebungen nach Ausschaltung der Konkurrenz und Erreichung einer gewissen monopolistischen Stellung, die überdies noch durch bedeutende Steuergeschenke vom Staat gestützt würden.

Die Bestimmungen, die im Genossenschaftsgesetz vom Jahre 1873 enthalten sind und die den innersten Kern des Genossenschaftswesens aufzeigen, führen jedoch diese Anwürfe ad absurdum. Denn was ist letzten Endes der Sinn und Zweck einer Genossenschaft? Schon der 1 des Genossenschaftsgesetzes gibt hierüber Auskunft: „Genossenschaften sind Vereine von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlicher Geschäftsbetriebe bezwecken ...“ Besonders der Grundsatz, die Wirtschaft des einzelnen zu fördern und zu sichern, weist doch auf alles andere hin als auf eine Kolchose; die Genossenschaften wollen ja letzten Endes den Privatbetrieb des einzelnen stärken und damit auch das Privateigentum schützen. Sie stehen also im absoluten Gegensatz zur Lehre eines Karl Marx. Die Genossenschaften sind reine Personengemeinschaften, im Gegensatz zu den Kapitalsgesellschaften, und immer wieder wird der Mensch in den Vordergrund gestellt. Die Genossenschaften verlangen von ihren Mitgliedern ein „Füreinanderstehen“, ein Opferbringen für die Gemeinschaft, und gerade durch diese Forderungen erziehen sie die Mitglieder zum Guten, fördern die menschliche Persönlichkeit und bilden den Charakter des einzelnen. Wo bleibt da der Vorwurf einer Vermassung? Ein wesentliches Merkmal der Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften ist auch das Prinzip der absoluten Freiwilligkeit, das ja auch im Genossenschaftsgesetz verankert ist. Jedem steht es frei, sich einer Genossenschaft anzuschließen, aus ihr auszutreten oder überhaupt ferne zu bleiben. Die Genossenschaften sind also keine Zwangsgemeinschaften und daher auch nie Gemeinschaften im Sinne der Kolchosen.

Was die Steuergeschenke betrifft, muß doch eindeutig darauf hingewiesen werden, daß die Warengenossenschaften, und um die dreht es sich in erster Linie, voll steuerpflichtig sind.

Auf die aufgezeigten Vorwürfe gegen das Genossenschaftswesen soll in diesem Rahmen nicht weiter eingegangen werden. Es sollen hie-rriit nur die wesentlichsten Feststellungen getroffen sein.

Der Aufschwung und die Leistungssteigerung unserer Landwirtschaft in den acht Jahren nach Kriegsende sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die oberösterreichischen Bauern es verstanden haben, die in der ganzen Welt bekannten genossenschaftlichen Organisationsformen und Einrichtungen in ihren Dienst zu stellen. Vor mehr als 60 Jahren wurde die erste landwirtschaftliche Genossenschaft nach dem System Raiffeisen in Oberösterreich ins Leben gerufen. Heute sind alle landwirtschaftlichen Genossenschaften in Oberösterreich — am 31. Dezember 1952 waren es insgesamt 905 —, mit welchem Wirtschaftszweig sie sich befassen mögen, in der Anwaltschaft der land- und forstwirtschaftlichen Genossenschaften Oberöster-reichs als dem gesetzlichen Revisionsverband zusammengeschlossen. Der gesetzliche Revisionsverband ist ein sogenannter Zwangsverband; denn jede landwirtschaftliche Genossenschaft kann nur mit Zustimmung des Revisionsverbandes im Genossenschaftsregister eingetragen werden. Der Anwaltschaft, an deren Spitze als Genossenschaftsanwalt Landeshauptmann-Stellvertreter Felix Kern steht, gehören derzeit 552 land- und forstwirtschaftliche Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften und außerdem 335 Wasser- und Wasserwerksgenossenschaften an. Die einzelnen Genossenschaften sind, je nach ihrer Aufgabe, wieder in eigenen Fachverbänden zusammengeschlossen, die ebenfalls der Anwaltschaft angehören. Der älteste Fachverband des Landes ist die Oberösterreichische Raiffeisen-Zentralkasse, die Geldsammel- und Ausgleichsstelle für die 286 Raiffeisenkassen des Landes. Diesem Fachverband gehören derzeit fast 56.000 Mitglieder an. Der nächste wichtige Fachverband ist der Schärdinger Oberösterreichische Molkereiverband, dem 46 Molkerei- und Käsereigenossenschaften und vier Verwertungsgenossenschaften angeschlossen sind. Dieser hat die Aufgabe, die Produkte der angeschlossenen Molkerei- und Käsereigenossenschaften in den Handel zu bringen.

Von allen landwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften umfaßt die Gruppe der Lagerhausgenossenschaften den bäuerlichen Betrieb in weitestem Umfange. Die Lagerhausgenossenschaften verwerten nicht nur die weitaus größte Menge aller Agrarprodukte für die Bauern, sondern sie stellen auch sämtliche Betriebsmittel ihren Mitgliedern zur Verfügung. Die 33 Lagerhausgenossenschaften mit etwa 55.000 Mitgliedern sowie eine Gartenbaugenossenschaft und zwei Maschinengenossenschaften sind in der Oberösterreichischen Warenvermittlung zusammengefaßt.

Außer diesen drei Hauptverbänden sind noch der Verband der Elektrizitätsgenossenschaften mit 119 Elektrizitätsgenossenschaften, der Verband der oberösterreichischen Weidegenossenschaften, dem 20 Genossenschaften angehören, der Verband der Servitutsgenossenschaften mit 17 angeschlossenen Servitutsgenossenschaften, der Verband der oberösterreichischen Industrie-pflanzenbauern-Genossenschaften und schließlich die Zentral-Forstgenossenschaft mit je acht angeschlossenen Genossenschaften zu erwähnen. Außer diesen Fachverbänden bestehen noch zehn andere Genossenschaften, die in keinem Fachverband erfaßt sind, sondern direkt der Anwaltschaft unterstehen. Hierher gehören unter anderem die oberösterreichische Landes-Saatbau-genossenschaft, die oberösterreichische Rüben-bauerngenossenschaft, die oberösterreichische Viehverwertungsgenossenschaft und die Brandverhütungsstelle für Oberösterreich.

Alle diese Genossenschaften und Verbände gehören nun, wie bereits erwähnt, zum gesetzlichen Revisionsverband, der „Anwaltschaft der land-und forstwirtschaftlichen Genossenschaften Oberösterreichs“. Der Anwaltschaft obliegt neben der Prüfungstätigkeit in erster Linie auch die Betreuung und die Vertretung der Interssen der landwirtschaftlichen. Genossenschaften auf dem Gebiete des Arbeitsrechtes, des Sozialrechtes, der Genossenschaftsregister-Angelegenheiten, des Steuer- und Abgabenrechtes sowie die Unterstützung in allen notwendigen Rechtsfragen. Daneben wird auch der Schulung der Genossenschaftsfunktionäre und -angestellten größtes Augenmerk zugewendet. Auch auf den landwirtschaftlichen Winterschulen und bei den landwirtschaftlichen Fortbildungskursen wird wertvolle genossenschaftliche Aufklärungsarbeit geleistet.

Im großen und ganzen kann nunmehr die Organisation des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in Oberösterreich als abgeschlossen befrachtet werden. Eine Neugründung von Genossenschaften wird im allgemeinen nicht mehr erfolgen'. Eine Ausnahme dürfte lediglich die Errichtung von Viehverwertungsgenossenschaften bilden, da durch die katastrophalen Preisstürze im Winter und Frühjahr der Ruf nach genossenschaftlicher Verwertung des Viehs immer lauter wurde. Auch auf dem Gebiete der Holzverwertung wird noch mit einem Ausbau der genossenschaftlichen Arbeit zu rechnen sein.

Mit Recht hat man die Genossenschaften als die „Unternehmen der kleinen Leute“ bezeichnet, mit deren Hilfe sich die wirtschaftlich Schwachen die Vorteile eines Großbetriebes zunutze machen. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften Oberösterreichs haben von der Gründung der ersten Selbsthilfegemeinscbaft bis zur Errichtung der heute bestehenden starken Organisation sich vor allem als das Bollwerk des Klein- und Mittelbesitzes erwiesen. Ihre Leistungen in der Vergangenheit bieten die Gewähr, daß die Genossenschaften auch in Zukunft für den Bauernstand starke Helfet zuverlässige Stützen in Not und Krisenzeiten “nd mutige Pioniere des Fortschrittes sein werden. +

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