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Die Methode der „sanften Gewalt“

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Im Herbst 1949 entschloß man sich nun zu einer neuen Taktik. An Stelle des offenen Zwanges sollte die Erziehung' zum Kolchos treten, politische Maßnahmen wurden durch wirtschaftliche und steuerliche Begünstigung der Kollektivbauern ergänzt. Im einzelnen sieht diese „sanfte“ Methode wie folgt aus:

1. Während einzelne Staaten des Südostens Traktoren, Dreschmaschinen und vieles andere aufkauften oder enteigneten, stehen die Maschinen- und Traktorenstationen den „Kulaken“ nicht zur Verfügung. Moderne technische Ausrüstung bleibt in abgestufter Bevorzugung den Staatsgütern, Kolchosen und Genossenschaften vorbehalten.

2. Zusätzliche Arbeitskräfte zur Bodenbearbeitung dürfen in Rumänien überhaupt nicht, in Ungarn, Bulgarien, der Tschechoslowakei und in Polen mit Kollektivvertrag nur in beschränktem Maß herangezogen werden.

3. Die „progressive“, ruinöse Besteuerung der Einzelbauern soll auf die Dauer zum „freiwilligen“ Beitritt zu Produktivgenossenschaften oder Kolchosen führen.

4. Seit Ende Mai 1950 liefen verschärfte Bestimmungen zur Einbringung der Ernteerträgnisse an. Der Erfolg der Maßnahmen ist allerdings zweifelhaft.

5. „Linksabweichungen“, das heißt Kollektivierungen fünfter Stufe mit Enteignung bis zu den persönlichen Fahrnissen, werden nicht geduldet. Die Erfahrungen der Sowjetunion stehen bei dieser Auffassung Pate.

6. Man begnügt sich weitgehend zunächst mit der Bildung von .Produktivgenossenschaften“, in denen der Bodenbesitz zunächst entweder unangetastet gelassen oder als Bodenrente zur Arbeitsleistung zusätzlich angerechnet wird. Obwohl man, zum Beispiel in Rumänien, ausschließlich die derzeit rund tausend Kollektivfarmen als „linientreu“ gelten läßt, sind dieser Staat und die übrigen Volksdemokratien geneigt, „kapitalistische Atavismen* vorläufig in Kauf zu nehmen, und fördern „Arbeitsgemeinschaften der werktätigen Bauern“, durch die „sich die werktätigen Bauern allmählich mit einer gemeinschaftlich verrichteten Arbeit auf ihren zu großen Flächen zusammengelegten Feldern vertraut machen*.

7. Verstaatlicht wurden vor allem die Großhandelseinkaufsgesellschaften. Für Agrarprodukte sind Höchst-, aber keine Mindestpreise festgesetzt;, eine ausgezeichnete .Erziehungsmöglichkeit“ für starrsinnige .Kulaken“.

Bei all diesen Maßnahmen „sanfter Gewalt“ rechnet man in den südöstlichen Volksdemokratien frühestens nach Beendigung der ersten Fünfjahrpläne damit, daß 60 bis 70 Prozent des Bodens kollektiviert sein dürften. Bis zum März 1951 bietet sich ungefähr folgendes Bild: seit Jahresfrist machte sich ein ruckartiges Anwachsen der Zahl der .Produktivgenossenschaften“ bemerkbar, während das eigentliche Kollektiv außerhalb der rumänischen Volksdemokratie diese verhältnismäßige Steigerung nicht aufweist. Es handelt sich dabei allerdings

um relative Anfangserfolge der kommunistischen Agrarrevolution, die noch keine Strukturänderung mit sich brachten. Die Tendenz, die einzelne Kollektivfarm als Wirtschaftseinheit zu vergrößern, prägte sich im Verlauf des Jahres 1950 stärker aus. Bulgarien besaß zum Beispiel vor Jahresfrist 1605 Produktivgenossenschaften mit 161.000 Mitgliedern auf 600.000 Hektar. Die Zahl der Genossenschaften hat sich inzwischen um 1,6 Prozent vermehrt, die teilnehmenden Bauernfamilien jedoch verdreifacht und die Fläche vervierfacht. Rumäniens Kollektivwirtschaften haben sich 1950 versechsfacht, während gerade jetzt die globale Erfassung der Bauernschaft durch Genossenschaften versucht wird; ihre Zahl hält bei 4000. Die ungarische Volksdemokratie zählt laut offizieller Statistik 145.000 Bauernfamilien auf einer Anbaufläche von 1 Million Hektar oder 10 Prozent des anbaufähigen Bodens. Man erwägt, zu den „Armenbauern“ auch die

„Mittelbauern“ hinzuzuziehen. Für die Tschechoslowakei nannte Klemens Gottwald folgende Ziffern: 3279 Genossenschaften, die ihre „Raine überpflügt“ haben auf 1 Million Hektar oder 13,6 Prozent des bestellten Bodens. Erstrebt werden Genossenschaften „höheren Typs“.

Unter Weglassung propagandistischer Thesen und Ankündigungen wird deut-

lich, daß der Kolchos im Südosten das Stadium des Experiments tatsächlich noch nicht überwunden hat. Jedenfalls sind die Maschen des Systems nach fünf Jahren Erziehung zum Kolchos so eng geworden, daß der Weg ins wirtschaftliche und geistige Kollektiv für die kommende Generation des Südostens vorgezeichnet erscheint.

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