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Die Macht der Idee
Es mag heute, in einer Zeit, in welcher die Überkommerzialisierung bereits weite Kreise auch der privaten Sphäre des einzelnen erfaßt hat, seltsam anmuten, daß eine Wirtschaftsmacht wie die Konsumgenossenschaften darauf Wert legt, auch als geistiges Faktum erkannt zu werden. Der Mann auf der Straße stellt sich wohl unter „Genossenschaft“ kaum mehr vor als den Konsumladen an der nächsten Ecke — aber ist denn mit dieser praktischen Seite das Wesen der Genossenschaft schon erschöpft? Stand nicht einst, als die Pioniere von Rochdale die erste Konsumgenossenschaft gründeten, nicht noch anderes hinter dieser Tat als die rein materielle Notwendigkeit?
Der geistige Wert des Genossenschaftswesen liegt vor allen Dingen in der Pflege des Gemeinschaftsgedankens, im Einsatz jedes einzelnen für alle, welche dieser Gemeinschaft angehören, im wahrhaft sozialen Denken und Handeln, das nicht nur den kleinen, eigenen Gewinn sieht, sondern das Wohlergehen aller im Auge hat. In diesem großen erzieherischen Wert des Genossenschaftswesens liegt auch seine Bedeutung für Staat und Volkswirtschaft begründet.
Freilich bildet gerade diese Pflege des Gemeinschaftsgedankens die Quelle vieler Mißverständnisse und Angriffe, welchen die Genossenschaften bis in die heutige Zeit ausgesetzt sind. Nichts ist jedoch törichter als der immer wiederkehrende Vorwurf, sie seien Wegbereiter des Kollektivismus und der Vermassung! Gerade im Gegenteil wird vielmehr durch den freiwilligen Zusammenschluß freier Menschen zu Genossenschaften, zur gemeinsamen Gestaltung ihres Lebens ein Gegengewicht gegen hypertrophe staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Machtansprüche gebildet, die ja heute bereits weitgehend kollektivistische Tendenzen aufweisen. Für die Genossenschaften trifft dieser Vorwurf nicht zu! Ist es doch gerade die Entfaltung der freien Persönlichkeit des einzelnen auf der geistigen, die Unterstützung der privaten Wirtschaft der Mitglieder auf der materiellen Seite — in der Regel handelt es sich ja dabei um kleine Eigenbetriebe bzw. Haushalte —, welche die Grundlagen des Genossenschaftswesens bilden! Alles innerhalb der Genossenschaft beruht auf Freiwilligkeit und demokratischen Grundsätzen, vom Beitritt zur Genossenschaft angefangen, der jedermann ohne Rücksicht auf Rasse, Religion und politische Weltanschauung offensteht, bis zum Internationalen
Genossenschaftstag, der alljährlich Anfang Juli gefeiert wird und alle 140 Millionen Genossenschafter, in aller Welt umfaßt.
Die Pflege dieser freiwilligen Gemeinschaft hat bereits edle Früchte getragen. Die Genossenschaften sind als Förderer kultureller, wissenschaftlicher und sozialer Institutionen hervorgetreten — wir erinnern nur an die zahlreichen Stiftungen, an die vielen Stipendien für begabte, aber unbemittelte Studenten, an die Beiträge für die Errichtung von Heilstätten und zur Unterstützung der Kinderdörfer, des UNICEF-Kinderrettungswerkes, an Ferienaktionen und Studienreisen, durch welche nicht nur praktisch verwertbare Erfahrungen gesammelt, sondern auch Kontakte im Sinne der Verständigung zwischen Mensch und Mensch gefunden werden.
Sie haben in jüngster Zeit ihre Mittel aber auch sogleich in den Dienst einer Sache gestellt, welche für die Zukunft des Abendlandes von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist: für die Hilfe für wirtschaftliche Entwicklungsländer. Dort wird heute Genossenschaft in bestem Sinne demonstriert, denn die Genossenschaften helfen nicht nur mit Geld und Gütern, sondern auch durch die Erziehung zu genossenschaftlicher Selbsthilfe. So lernen jene Menschen, welche den Gedanken der Zusammenarbeit in Genossenschaften noch nicht kennen, durch gemeinsames Wirken in den Genossenschaften, durch eigene Arbeit und eigene Leistung, eine nachhaltige und dauerhafte Verbesserung ihres Lebens zu erreichen.
In der Erziehimg zu sinnvoller Gestaltung des eigenen individuellen Lebens erblicken so die Genossenschaften ihre wichtigste ideelle Aufgabe im Dienste von Persönlichkeit, Gemeinschaft und Staat. Sie arbeiten damit an einem Friedenswerk, dessen gerade unsere Zeit so bitter bedarf.
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