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Genossenschaft und Staat

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Jenseits aller interessebefangenen Auseinandersetzungen sind die Genossenschaften eine soziale und ökonomische Wirklichkeit, die keineswegs von politischen Machtkonstellationen bestimmt ist. In einer Gesellschaft, in der die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen immer dichter werden, wachsen, gleichsam aus der Natur des expansiven Produktionsprozesses, die erforderlichen Kapitalgrößen. Daher bedarf es auch einer Kooperation der wirtschaftlichen Kleingebilde, der bäuerlichen Wirtschaften, der kleinen Einzelhändler und der Pri vathaushalte, um durch ein System der Förderung def eigenen Wirt- schaftsführürig durch einen gemeinsamen Betrieb die Vorteile, welche die Großbetriebe auf Grund eben ihrer Größe haben, einigermaßen aufzuwiegen.

Kolchosen im freien Westen

Anderseits — und das sollte nicht übersehen werden — setzt sich gerade durch das Wachsen der Genossenschaften zu Großgenossenschaften die auch im Bereich der Kapitalgesellschaften merkbare Verkümmerung des Eigentumsrechtes in einer bedenklichen Weise fort- Das konkrete Verfügungsrecht des Eigentümers über sein Eigentum mag bei einer lokal gebundenen Genossenschaft (Druschgenossenschaft) noch merkbar bestehen, kaum kann dies aber für die Großgenossenschaften festgestellt werden, wer immer die Genossenschafter sind. Der Genossenschafter wird zum einflußlosen Finanzier, vergleichbar etwa dem Eigentümer einer Volksaktie. Dabei soll nicht übersehen werden, daß die Reduktion der Eigentümermacht in den Genossenschaften unvermeidbar geworden ist, sollen sie nicht in der Dispositionsfreiheit ungebührlich geschmälert werden.

Wenn jedoch das Eigentumsrecht nur noch auf den Eigentumstitel reduziert wird, aber so gut wie jede Eigentumsgebrauchsmacht fehlt, kann es zum Entstehen von Kolchosentypen auch im freien Westen kommen, bei denen das Miteigentum derart verdünnt worden ist, daß kein Genossenschafter noch ein Eigentümergefühl hat.

Die Genossenschaften neuer Art sind jedoch ein Instrument solidarischer Aktionen im Bereich der Wirtschaft, das einer modernen, auch nichtsozialistischen Gesellschaftsordnung geradezu eingeboren ist. Von diesem Sachverhalt gingen so gut wie alle Referenten des jüngsten Wiener Kongresses aus, fern jeder emotionalen und interessefixierten Ideologisierung des Problems.

Staat und Gesetzgebung

Im ersten Referat untersuchte Univ.-Prof. Demelius die Frage der juristischen Bewältigung der sich heute in einer erstaunlichen Vielfalt darstellenden genossenschaftlichen Gebilde. Die Führung und die führenden Mitglieder der Genossenschaften bestimmen oft in einer eigenwilligen und an die jeweiligen Aufgaben adaptierten Weise den Charakter der Assoziierung. Der Gesetzgeber kann sich daher, will er einen Normenadressaten finden, nur des Hilfsmittels einer Typisierung bedienen und auf diese Weise die Genossenschaften normativ umschreiben.

Univ.-Prof. Weber wies darauf hin, daß die Genossenschaften aus Kümmergebilden mit einer schwachen Marktposition als Folge eines expansiven Prozesses zu starken Marktgebilden geworden seien. Aus der Natur der Sache wird daher der Staat immer mehr im Interessse einer Bewältigung des Genossenschaftsproblems engagiert. Die Auseinandersetzungen um die richtige Ortung der Genossenschaften, gerade in Österreich, um die Frage, ob sie dem privaten Sektor oder einem faktisch sozialistischen zuzurechnen sind, wird gerade dadurch in unserem Land erschwert, daß sich die Genossenschaften stets in einer Art Abwehrstellung befinden und sich dabei zu sehr ideologischer statt sachlich-ökonomischer Argumente bedienen. Es ist daher — so darf man Univ.-Prof. Weber interpretieren — das Bekenntnis zum Genossenschaftsgedanken nicht ausschließlich als ein politisches, wenn nicht gar als ein weltanschauliches Glaubensbekenntnis zu verstehen.

Abgrenzung zu den Erwerbsgesellschaften

Univ.-Prof. Valko (Washington) betonte vor allem den universalen Charakter der Genossenschaften, die sichj heute in allen ökonomischen Regionen und unter allen politischen Bedingungen zu konstituieren verstehen. Dem Staat ist es jeweils auf- gegeben, den Genossenschaften eine rechtliche Grundlage für ihr Wirken! zu sichern und sie zu fördern, freilich in diskreter Weise bis zu einem „Nichts an Staatseinfluß“. Der Vortragende forderte auch eine Abgrenzung der genossenschaftlichen Betriebsführung von einer perfekt kollektivistischen.

Univ.-Prof. Reinhardt (Marburg) wies in seinen Ausführungen darauf hin, daß es bei einer rechtlichen Regelung des Genossenschaftswesens vor allem notwendig wäre, die Förderung als wesentliches Unter-

scheidungsmerkmal gegenüber den Erwerbsgesellschaften herauszuheben.

Univ.-Prof. Klein (München) befaßte sich mit dem auch in Österreich ungemein heiklen Fragen der Besteuerung der Genossenschaften. Worum es, vom Standpunkt des Abgabenrechtes, geht, ist die Frage, ob der Überhang der Erträge einer Genossenschaft über die Aufwendungen den Charakter von Gewinn, also von „Einkommen im Sinn der Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes“ hat, oder ob es sich dabei um einen aus verrechnungstechnischen Gründen kurzfristig vorenthaltenen Rabatt handelt’, der nach Jahresabschluß den Genossenschaften zu überschreiben ist. Daher be darf es ebenso einer Klärung, welchen Charakter die „Rückvergütung“ (der Bonus) hat, welche die Genossenschafter beziehen. Kann man also von einer Verletzung des Prinzips der Steuergerechtigkeit sprechen, wenn die Genossenschaften steuerliche Vorteile haben, oder kann man von der Gewährung solcher Vorteile überhaupt nicht sprechen?

Forschung tut not

Professor Svärdström (Upsala)

stellte eine Konvergenz in der Entwicklung der Genossenschaften und der anderen Wirtschaftsgebilde fest, also eine offenkundig sachgesetzlich bestimmte Entwicklung sowohl in der Art der technischen Betriebsführung wie in der Verwaltung. Die Genossenschaften können ihr Förderungsziel nur dann erreichen, wenn sie sich an die aus der Natur des Wirtschaftsprozesses vorgegebenen Bedingungen anpassen. Anderseits setzen sich in den Genossenschaften Prinzipien durch, die den Erwerbsunternehmungen fremd sind, wie etwa gleicher Preis für alle Mitglieder, unabhängig etwa von der abgesetzten Menge.

Da Österreichs Genossenschaftswesen zu sehr dem Streit politischer Interessen ausgeliefert ist, bedürfte es ernster wissenschaftlicher, Erforschung des Genossenschaftswesens. Das war die entscheidende Erkenntnis des Kongresses.

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