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Bauern suchen Brotgeber

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Das Agrarkombinat „Slusovice" in Ostmähren galt vor der Sanften Revolution als Modell für die „böhmische Perestrojka" (siehe Furche 48/1989). Inzwischen wird das Kombinat verdächtigt, in kriminelle, fast mafiose Machenschaften verstrickt zu sein. Auch andere landwirtschaftliche Genossenschaften stecken in der Krise.

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Das Agrarkombinat „Slusovice" in Ostmähren galt vor der Sanften Revolution als Modell für die „böhmische Perestrojka" (siehe Furche 48/1989). Inzwischen wird das Kombinat verdächtigt, in kriminelle, fast mafiose Machenschaften verstrickt zu sein. Auch andere landwirtschaftliche Genossenschaften stecken in der Krise.

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Die Juristen der. Genossenschaften hatten Gesetzeslücken aufgespürt, mit deren Hilfe es sich auch im Realen Sozialismus recht „kapitalistisch" wirtschaften ließ. Der Betrieb, mit einer Landfläche von 4.000 Hektar und 7.000 Angestellten, konnte so zuletzt satte vier Milliarden Kronen Jahresumsatz verbuchen. Und dem Staatssäckel Hunderte Millionen Gewinn zuführen - was wiederum Einwände der Ideologen entschärfte.

Nach dem Fall des Regimes kam auch Slusovice ins Schleudern: Im Vorjahr bei ief sich der Schuldenstand schon auf drei Milliarden Kronen. Unter dem Trommelfeuer der Medien trat der Vorsitzende Frantisek Cuba, im September zurück. Hatten die Genossenschafter früher wegen der hohen Verdienstmöglichkeiten mit dem Neid der Genossen zu kämpfen, waren sie jetzt heftiger Kritik seitens des Bürgerforums (OF) ausgesetzt: Protegiert unter Husäk, witterte man Unregelmäßigkeiten in der Finanzgebahrung des Agrarkombina-tes. Dutzende Wirtschaftsprüfer stöberten in der Buchhaltung; selbst Präsident Vaclav Havel äußerte sich negativ über das einstige „Modell".

Inzwischen ist Slusoviceein Dauerbrenner in der innenpolitischen Auseinandersetzung geworden. Längst wird gegen die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft wegen des Verdachtes ermittelt, in Schiebereien größeren Stils verwickelt zu sein. Dabei geht es um krumme Machen-

schaften wie Schmuggel von High-Tech'-Geräten in die ehemalige CSSR und Waffen aus der CSSR. Die Vor-zeige-Genossenschaft, so wird vermutet, sei in Wirklichkeit eine mafiaähnliche Verbrecherorganisation gewesen.

Doch nicht nur deshalb hat Slusovice auch international für Schlagzeilen gesorgt. In einem aufsehenerregenden Interview in der Schweizer „Weltwoche" behauptete ein in den Westen geflohener tschecho-slowakischer Polizeibeamter, daß höchste Prager Politiker die Untersuchungen gegen die Wirtschaftskriminellen hintertreiben und behindern.

Horrende Preise

Weniger sensationell gehen auch andere landwirtschaftliche Groß-Ge-nossenschaften dem Ende ihres Daseins entgegen: Unübersichtliche Verwaltungskörper, zu teuer die Produktion, lautet das Expertenurteil. Viele Genossenschaften bewirtschaften einige tausend Hektar Land, die Monopolwirtschaft schafft Verluste. Als ersten Reformschritt geht man nun an die Zerlegung der Kolosse in leichter überschaubare Teilbetriebe. Zusammen mit der Privatisierung eines Teiles des Agrarsektors erhofft man sich so eine Erhöhung der Effizienz und Kostensenkung. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte - gemessen am. Einkommen - sind teils horrend: Für ein Kilo billigen Käse muß man drei Stundenlöhne opfern. Im Preisvergleich zu Österreich müßten die Erdäpfel um 80 Prozent billiger werden.

Von der zu Jahresanfang verhängten Preisliberalisierung profitiert nur der Handel. Im Gegensatz zu den Polen und Rumänen litten die Bürger der ehemaligen CSSR nie an Hunger. Aber jetzt sind die Lager zum Platzen voll, die Ware, weil zu teuer, ist unverkäuflich. „Die Mastkälber stehen wie lebendige Konserven in den Ställen", klagte die Tageszeitung „Närodnä Obroda", die bei den Genossenschaf-

ten „existentielle Unsicherheit" und „drohenden Kollaps" diagnostiziert. Der Straßenverkauf, den die Kollektivbauern als erste Selbsthilfe initiierten, wurde wegen des Protestes des Handels, als „Verletzung hygienischer Normen" angeprangert, inzwischen wieder weitgehend abgeschafft.

Die Kollektivbauern sind in der Mehrheit gegen die Auflösung der Genossenschaften. Es bestehen starke Zweifel, ob angesichts der sinkenden Kaufkraft der Bevölkerung, der horrenden Preise für Pestizide und Düngemittel, ein Privatbauer, dernicht vom Staat subventioniert wird, überhaupt lebensfähig ist. Damit der Gesetzgeber nicht allzu radikale Schritte setzt, haben die Kreisverbände der Bauer mit einem „Marsch auf Prag" gedroht, „wenn der Standpunkt der landwirtschaftlichen Öffentlichkeit nicht respektiert wird".

Der slowakische Landwirtschafts-, minister gab denn auch die Zusicherung, „daß der Prozeß der Privatisierung der Landwirtschaft nicht in der gewaltsamen Zerschlagung der Genossenschaften besteht". Es gehe vielmehr darum, den ursprünglichen Charakter der Genossenschaften (Druzstva) zu erneuern. Im Landwirt-schaftsministerum träumt man von einem „harmonischen Modell derKo-Existenz und Zusammenarbeit zwischen dem genossenschaftlichen und privaten Sektor".

Wie dieser Weg aussehen könnte, zeigt das Beispiel der Genossenschaft „Jednota" (Einheit) in Zävadka: Die Genossenschaft „vermietet" ihre jungen Truthähne an Privatbauern zur Mästung. Den Verkauf übernimmt wieder .Jednota". Im Vorjahr konnte man sich 100.000 Kronen Gewinn teilen. Mit der Privatisierung des Maschinenparks wurde sogarein Stein vom Hals geschafft: Wie Jan Borek, Chef in Zävadka, spekuliert, werden die neuen Besitzer der klapprigen Autos wohl auf Aufträge der Genossenschaft, dem einzigen Brotgeber in der Gegend, angewiesen bleiben.

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