6788956-1970_27_05.jpg
Digital In Arbeit

Staribacher

19451960198020002020

85 Länder der Erde haben 250.000 Raiffeisengenossenschaften mit etwa 500 Millionen Mitgliedern. Das genossenschaftliche Dienstleistungsnetz in Österreich kann sich aber ebenfalls sehen lassen: 1650 Raiffeisenkassen, 200 Ein- und Verkaufsgenossenschaften mit 1150 Filialen, 1230 Milchverwertungsgenossenschaften und 660 sonstige bäuerliche Selbsthilfeeinrichtungen bieten eine breite Palette von Dienstleistungen für die Bauern, aber auch für die übrigen Wirtschaftsbereiche und Bevölkerungsgruppen im ländlichen Raum. Die 3750 Raiffeisengenossenschaften in Österreich mit etwa 2420 Filialen haben immerhin 1,56 Millionen Mitglieder.

19451960198020002020

85 Länder der Erde haben 250.000 Raiffeisengenossenschaften mit etwa 500 Millionen Mitgliedern. Das genossenschaftliche Dienstleistungsnetz in Österreich kann sich aber ebenfalls sehen lassen: 1650 Raiffeisenkassen, 200 Ein- und Verkaufsgenossenschaften mit 1150 Filialen, 1230 Milchverwertungsgenossenschaften und 660 sonstige bäuerliche Selbsthilfeeinrichtungen bieten eine breite Palette von Dienstleistungen für die Bauern, aber auch für die übrigen Wirtschaftsbereiche und Bevölkerungsgruppen im ländlichen Raum. Die 3750 Raiffeisengenossenschaften in Österreich mit etwa 2420 Filialen haben immerhin 1,56 Millionen Mitglieder.

Werbung
Werbung
Werbung

Hinter diesen imponierenden Zahlen verbirgt sich aber auch eine Reihe von Problemen. Der Raiffeisensektor in Österreich ist einer der mächtigsten Wirtschaftsbereiche und mit 27.000 Mitarbeitern auch einer der größten Arbeitgeber, ökonomische Probleme treten daher immer mehr in den Vordergrund. Das aus dem Jahre 1873 stammende Genossenschaftsgesetz, das 1934 und 1936 novelliert wurde, definiert Wesen und Begriff der bäuerlichen Selbsthilfeorganisationen als eine Personenvereinigung von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft der Mitglieder durch genossenschaftliche Geschäftsbetriebe oder Kreditgewährung bezweckt. Gerade das Genossenschaftsgesetz ist es aber, das bei intensiver und wörtlicher Interpretation in der heutigen Zeit eher einen Hemmschuh denn einen Fortschritt darstellt, weil es in jener Zeit geschaffen wurde, als die Tendenz zur genossenschaftlichen Selbstisolierung noch sehr stark war.

Es ist daher verständlich, wenn der auf dem Österreichischen Raiffeisentag 1970 in Salzburg wiedergewählte Generalanwalt Dr. Rudolf Rasser die extensive Interpretation des Genossenschaftsgesetzes verlangte und Generalsekretär Dr. Reinthaler eine „Wettbewerbs- und ideologieneutrale“ Novellierung forderte. Dies ist einfach eine Voraussetzung, um die Raiffeisengenossenschaften wirkungsvoll an die Erfordernisse der Zeit anpassen und in die Industriegesellschaft integrieren zu können. Die im Genossenschaftsgesetz verankerte einzelgenossenschaftliche Autonomie stellt fallweise eine starke Bastion gegen jede Konzentration dar, vor allem dann, wenn die örtlichen Funktionäre „an ihren Genossenschaften“, weitgehend unabhängig von ökonomischen Erfordernissen, hängen.

Generalanwalt Dr. Rudolf Rasser, einer der begabtesten und geschicktesten Agrarmanager, plädiert daher immer auch dafür, die genossenschaftliche Autonomie auf regionale Verbundenheiten zu übertragen. Die Überschaubarkeit eines Wirtschaftskörpers ist eben im Computerzeitalter wesentlich größer geworden als zur Zeit der beginnenden Genossenschaftsbewegung. Das genossenschaftliche Management muß aber, ergänzt durch eine zeitnahe Ideologie, ständig verbessert werden, um den steigenden Konkurrenzeinnüssen standhalten zu können. Die vielen kleinen Genossenschaften im Geld-und Warensektor haben nämlich einfach nicht die Möglichkeit, ein modernes Dienstleistungsservice bieten zu können.

Die relativ starke Stellung der Raiff-eisen-Landeszentralen ist zwar oft für die Generalanwaltschaft im Raiffeisenverband eine Unterstützung, aber gegen die nicht selten zu eng ausgelegte genossenschaftliche Autonomie gibt es noch keine echten Handhaben.

Ein Beispiel hiefür sind die Raiffeisenkassen. Das moderne Bankservice, das heute von allen Kunden verlangt wird, kann in 1650 genossenschaftlichen Geldinstituten mit 330 Füialen überall dort nicht vollständig verwirklicht werden, wo die ökonomische Basis fehlt. Allein in Niederösterreich gibt es 400 Raiffeisenkassen, nach Generalanwalt Rasser wären aber nur etwa 150 optimal. Die notwendige Fusion scheitert aber oft am lokalen Prestige der Funktionäre, argumentierend mit der Autonomie.

Trotz allem schreitet aber die innere Reform des Genossenschaftswesens fort. Die Raiffeisenbewegung ist heute eine starke Leistungsgemeinschaft, so stark, daß die oft mehr emotionell als sachlich hochgespielte Auseinandersetzung mit der gewerblichen Wirtschaft bisher gut verkraftet werden konnte. Die noch von der ÖVP-Alleinregierung begonnene „Gewerbereform“ scheiterte schließlich an dieser Auseinandersetzung, weil sich der Wirtschaftsbund buchstäblich in letzter Minute bei seinen kleinen und mittleren Funktionären nicht durchzusetzen vermochte.

Die Auseinandersetzung um die Genossenschaften, die im Vorjahr auch die ÖVP erschütterte, weil der „Bruderkampf“ zwischen Wirtschafts- und Bauernbund nicht immer nur sachlich ausgetragen wurde, bestimmt schon seit Jahren entweder unterschwellig oder in aller Öffentlichkeit die wirtschaftspolitische Diskussion dieser beiden Interessenvertretungen. Es fehlt nicht an handfesten Vorwürfen, und so gesehen ist es mehr als fraglich, ob es Handelsminister Dr. Staribacher gelingen wird, diese heikle wirtschaftspolitische Frage zu lösen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung