Scheljaschenko - Der Ukrainer und FURCHE-Interviewpartner Jurij Scheljaschenko wird der „Rechtfertigung russischer Aggression“ angeklagt. - © Foto: Privat

Der ukrainische Pazifist, der Lennons „Imagine“ lebt: Jurij Scheljaschenko

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Donnerstag vorige Woche schickte Jurij Scheljaschenko um 23.41 Uhr aus Kiew ein Mail an Freunde in aller Welt. „Heute wurde meine Wohnung vom Sicherheitsdienst der Ukraine durchsucht“, beginnt der Text, „sie fanden nichts Kriminelles, beschlossen aber, mein Telefon und meinen Computer sowie einige Dokumente der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung mitzunehmen.“ Seither wird Scheljaschenko als Generalsekretär der Pazifistischen Bewegung zu Verhören vorgeladen. Die Anklage lautet: „Rechtfertigung der russischen Aggression.“ Sie basiert auf der von ihm im Vorjahr verfassten „Friedensagenda für die Ukraine und die Welt“.

Im FURCHE-Interview Anfang Juni (23/2023) erzählte Scheljaschenko von Bedrohungen, berichtete von offener Feindseligkeit bis hin zu bizarren Drohanrufen in der Nacht. Gleichzeitig betonte er, dass seine Situation im Vergleich zu Friedensaktivisten in Russland unvergleichlich besser sei, da die Ukraine in Richtung mehr Demokratie, mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Zivilgesellschaft steuere. Als einer, „der genauso im russischen Bombenhagel sitzt“, sagte er: „Das ist eine tragische Situation, die wünsche ich niemandem, aber wir müssen gemeinsam zu einer neuen Basis des Miteinanders kommen.“ Gefragt nach seinem persönlichen Friedensfundament, bezeichnete sich Scheljaschenko als „akademischen Pazifisten“. So sehr er die Stimme von Papst Franziskus gegen diesen Krieg schätzt, spielt Religion für seine Friedensarbeit keine Rolle. Diese basiere allein auf wissenschaftlichen Kriterien. Dazu gehören die „9 Stufen der Konflikteskalation“ des österreichische Konfliktforschers Friedrich Glasl. Scheljaschenkos Friedensagenda, derer er jetzt angeklagt wird, beruft sich auf dieses Modell der Eskalation und Lösung von Konflikten. Wenn man Scheljaschenkos Texte liest und noch mehr, wenn man die Gelegenheit hat, ihn zu hören oder via Zoom-Interview zu sehen, drängt sich – von seiner Frisur bestärkt – der Vergleich zu John Lennon auf. Scheljaschenko wird seiner Charakterisierung als „Dreamer“ auch nicht widersprechen, mit dem Zusatz: „Aber, ich bin nicht der Einzige.“ Oder wie er in seinem Nacht-Mail aufruft: „Gemeinsam, gewaltlos, mit wissenschaftlichem Wissen, Glauben und Hoffnung könnten wir eine bessere Welt aufbauen, in der sich jeder weigert zu töten, und in der es daher keine Kriege gibt.“

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