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Auf einem Knochenkästchen aus dem 1. Jahrhundert ist zu lesen: "Jakobus, Sohn des Josef und Bruder Jesu." Erstes schriftliche Zeugnis von Jesus aus Nazaret?

Vor einigen Wochen machte ein Artikel in der Fachzeitschrift Biblical Archeology Review nicht nur in Fachkreisen Furore: Der französische Forscher André Lemaire berichtete dort von einem Fund, der möglicherweise eine Sensation darstellt. Auf der Inschrift eines Ossuars, eines steinernen Kästchens zur Aufbewahrung von Knochen eines Verstorbenen, liest man den Namen des Verstorbenen: "Jakobus, Sohn des Josef und Bruder Jesu". Handelt es sich, wie der französische Forscher behauptet, um den so genannten Herrenbruder, um den leiblichen Bruder Jesu? Ist es damit das erste archäologische Fundstück, das den Namen eines Bruders Jesu nennt, das somit einen direkten Bezug zum historischen Jesus bieten kann?

Die drei Namen auf dem Ossuar werfen somit einmal mehr die Frage auf, wie es sich mit der Verwandtschaft Jesu verhält: Hatte er Geschwister? Die Evangelien berichten von vier Brüdern Jesu. Matthäus (Mt 13,55) und Markus (Mk 6,3) nennen ihre Namen. Es sind Jakobus, Joses (bzw. Josef), Judas und Simon. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Schwestern, deren Namen nicht genannt werden. Wie, fragt man, verträgt sich das mit der Jungfräulichkeit der Maria, die von der Kirche gelehrt wird?

In den Antworten unterscheiden sich die westliche und die östliche Tradition. Die Lösung der Ostkirchen ist, dass Josef, der Mann der Maria, vor seiner Heirat mit ihr verwitwet war. Kinder - und damit Halbgeschwister Jesu - würden aus der ersten Ehe des Josef stammen. Diese Auffassung findet sich auch in einem der bekanntesten apokryphen Texte: Das nicht zum Neuen Testament zählende "Protevangelium Jakobi" berichtet von der Geburt der Maria bis hin zum Tod des Zacharias, des Vaters des Täufers Johannes, der im Tempel ermordet wird, weil er die neugeborenen Kinder nicht preisgeben möchte. Der Jakobus, der dieses Protevangelium angeblich geschrieben hat, ist Josefs Sohn aus erster Ehe und eben jener Herrenbruder, auf den möglicherweise die Inschrift hinweist.

Nach traditioneller katholischer Auffassung war auch Josef unverheiratet. Das biologische Problem der Brüder und Schwestern wird durch die Interpretation aus der Welt geschafft, dass es sich dabei um Cousins und Cousinen handelte.

Zwei bedeutende Männer

Was nun die Inschrift auf dem Ossuar anbetrifft, so kann man sie auf unterschiedliche Art interpretieren. Nur kurze Zeit war es üblich, dass die Gebeine eines Verstorbenen etwa ein Jahr nach der Bestattung in einer Grabhöhle in ein Kästchen umgebettet wurden. Überhaupt erst im ersten Jahrhundert vor Christus begann man mit dieser Sitte, um sie schon vergleichsweise kurze Zeit später - nach dem Fall Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. - wieder aufzugeben.

Eine Reihe solcher Knochenkästchen sind erhalten, auf denen meist der Name des Verstorbenen und seines Vaters vermerkt sind. Natürlich ist es möglich, darauf hinzuweisen, dass nur sehr selten der Name des Bruders in Inschrift genannt wurde, die auf dem steinerne Kästchen angebracht wurde.

Die Tatsache, dass man den Namen des Bruders erwähnt, könnte also darauf schließen lassen, dass der Bruder des Jakobus ein bedeutender Mann war - und der bedeutendste Mann dieser Zeit, der den Namen "Jesus" trug, war sicher der aus Nazaret. Insofern liegt es auf den ersten Blick sehr nahe, diesen Jesus in der Inschrift des Ossuars mit dem Mann, der in den dreißiger Jahren des ersten Jahrhunderts in Jerusalem gekreuzigt wurde, zu identifizieren. Aber auch der Bruder Jesu war nicht unbedeutend.

Haupt der Urgemeinde

Jakobus, der Herrenbruder, war zu Lebzeiten Jesu - wie die gesamte Familie - dem Wirken Jesu wohl eher skeptisch gegenübergestanden. Nach Jesu Auferstehung war Jakobus jedoch das Haupt der Jerusalemer christlichen Urgemeinde, hielt aber bis zu seinem Tod an der Befolgung der jüdischen Riten fest. Dies führte zu Spannungen mit Paulus, dem "Heidenapostel" (Apg 15). Neben dem Herrenbruder erwähnt das Neue Testament noch weitere Personen mit dem Namen Jakobus. Es sind dies: Der Apostel Jakobus, der Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes; er wurde um 43/44 in Jerusalem getötet (Apg 12). Die Legende hat jedoch diesen Jakobus in Spanien wirken lassen. Er wird als Heiliger von Santiago de Compostela verehrt. In den Evangelien ist auch ein Jakobus, Sohn des Alphäus, erwähnt (Mt 10,3; Mk 3,18).

Rein historisch ist richtig, dass Jakobus, der Herrenbruder, um 62 n. Chr. gesteinigt wurde - davon berichtet der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus: Der Hohepriester Ananus ließ den Jakobus und einige andere der Gesetzesübertretung anklagen und steinigen. Ein klarer Fall von Kompetenzübertretung. Die jüdische Priesterschaft durfte keine Todesurteile fällen - Ananus nützte eine Vakanz innerhalb der römischen Provinzverwaltung aus.

Flavius Josephus möchte allerdings gar nicht wirklich von diesem Jakobus berichten, sondern erwähnt ihn nur beiläufig, stolpert doch der Hohepriester Ananus über seinen Justizmord: Er wird abgesetzt, weil sich eine gesetzestreue und angesehene Gruppe von Jerusalemer Bürgern beim neuen Prokurator über das Vorgehen des Hohenpriesters beklagt. Sollte der Jakobus des Ossuars mit diesem Jakobus identisch sein, wäre die Datierung des Objektes eindeutig: Das Kästchen müsste auf das Jahr 63 datiert werden.

Nazaret blieb unerwähnt

Man kann die Argumentation auch umdrehen: Josef, Jakobus und Jesus waren häufige Namen. Es gibt eine Reihe von Knochenkästchen, auf denen sich der Name Jesus findet. Gerade weil der Name des Vaters und des Sohnes sehr häufig waren, hat man noch einen weiteren Namen hinzugefügt, um die Identifizierung eindeutig vorzunehmen. Auch wenn rätselhaft bleiben muss, warum dann nicht noch der Name der Mutter angeführt wurde, mag man umgekehrt argumentieren: Falls es sich um den Bruder Jesu Christi handelt, warum wird dann vom Schreiber dieser Inschrift nicht eindeutig gesagt, dass es gerade dieser Jesus aus Nazaret war. Jakobus war ein prominentes Mitglied der Jerusalemer Gemeinde. Hätten die, die ihn beerdigten, nicht "ihren" Jesus in der Inschrift eindeutig gekennzeichnet?

Sicher vorsichtig und skeptisch sollte der Umstand stimmen, dass der Fund lange in Privatbesitz war und dorthin aus dem Handel gekommen ist. Was alle, die sich mit dieser Inschrift beschäftigen, gerne wüssten, ist letztlich unbekannt: Der genaue Fundort und die Fundumstände. Diese könnten vielleicht ein wenig Licht in die Dunkelheit werfen.

Es wird offenbleiben, ob der Jakobus des Ossuars tatsächlich der Bruder dessen war, den wir heute den Christus nennen. Es steht deshalb zu erwarten, dass in der Forschung die Meinungen gespalten bleiben. Letztlich enthält die Inschrift zu wenig Informationen, um tatsächlich sagen zu können, ob in diesem Ossuar einmal die Gebeine eines Bruders Jesu und einer Führungspersönlichkeit des Jerusalemer Judenchristentums verwahrt worden sind oder nicht.

Der Autor ist Theologe und Mitarbeiter an der Papyrussammlung der Österr. Nationalbibliothek.

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