Welche Maria war an Jesu Grab?

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Wie aus Maria von Magdala die ebenfalls diesen Namen tragende Mutter Jesu wurde: Forschungen an koptischen Handschriften können Überraschendes zutage fördern.

Der Bericht aus dem Johannesevangelium von Maria am Ostermorgen am leeren Grab (Joh 20,1-18) gehört zu den bekanntesten Erzählungen aus diesem Evangelium und wurde nach einem koptischen Lektionar, das aus dem heute nur noch als Ruine erhaltenen Michaelskloster in der rund 80 Kilometer südwestlich von Kairo gelegenen Oase Fajjum stammt und heute in der Pierpont Morgan Library in New York aufbewahrt wird, zu Ostern im Gottesdienst verlesen. Bei der Auslegung dieser Stelle wird heute oftmals die Rolle der Maria Magdalena betont, sie erhält vom Auferstandenen den Auftrag, zu den Jüngern zu gehen und ihnen von ihrer Begegnung zu berichten. Aufgrund dieses Auftrags wird Maria von Magdala auch als "Apostolin der Apostel“ bezeichnet.

Etwas ganz anderes bewegte jedoch offensichtlich den Kopisten, der das Lektionar wohl in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts abgeschrieben hat. Er verändert den Text von Vers 15, wo es darum geht, dass Maria den Auferstandenen nicht erkennt: "Es sprach zu ihr Jesus: Frau, warum weinst du? Nach wem suchst du? Diese aber dachte, es sei der Gärtner. Sprach sie zu ihm: Wenn du meinen Sohn weggenommen hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast, und ich will ihn nehmen und dir deinen Lohn geben.“

Zwei Elemente sind verändert: Zum einen fragt die Maria in dieser Erzählung nach "ihrem Sohn“, es ist also gerade nicht Maria von Magdala, die am leeren Grab steht, sondern die Mutter Jesu. Und zum anderen bietet sie dem, den sie für den Gärtner hält, Geld an, um zu erfahren, wohin der Leichnam gelegt wurde. Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist natürlich, wie der Kopist überhaupt auf die Idee kommen kann, diese Änderung vorzunehmen - und warum dieser doch eher merkwürdige Text dann nicht in weiterer Folge von einem der Lektoren, die aus diesem Buch vorgelesen haben, korrigiert worden ist. Immerhin finden sich in zahlreichen biblischen Handschriften Spuren von Korrekturen, nicht jedoch an dieser Stelle des koptischen Lektionars.

Eine Spurensuche in koptischen Handschriften

Eine Spurensuche in anderen Handschriften, die ebenfalls aus dem Michaelskloster stammen, zeigt, dass der Kopist offensichtlich in den biblischen Text hineingeschrieben hat, was in diesem Kloster gepredigt wurde. So finden sich in Predigten, die wohl an Karfreitag oder Ostern gehalten worden waren und nachweislich aus eben diesem Kloster stammen, Passagen, deren wörtliche Übereinstimmung mit diesem Vers die Frage aufwerfen, ob dem Schreiber hier ein Zitat aus der Predigt, das er noch im Ohr hatte, gleichsam aus der Hand geflossen ist. Auch in Gebeten, die in einer anderen Handschrift aus diesem Kloster überliefert sind, findet sich die Mutter Jesu anstelle von Maria von Magdala am leeren Grab.

Es stellt sich die Frage nach den Gründen für diese doch eher merkwürdige relecture des biblischen Textes. Dass es sich bei Maria von Magdala und der ebenfalls diesen Namen tragenden Mutter Jesu um zwei verschiedene Personen gehandelt hat, war offensichtlich auch so manchem Frommen der damaligen Zeit bekannt. Einzelne Texte weisen deswegen darauf hin, dass die Mutter Jesu ursprünglich aus Magdala stamme und deshalb, wie auch die andere Maria, diesen Ortsnamen als Beinamen führe. Hier wird in der Überlieferung die ursprüngliche Maria von Magdala durch die Mutter Jesu verdrängt. In der Wissenschaft wird als mögliche Ursache für dieses Phänomen die Rolle der Maria von Magdala in anderen Texten erwähnt. Maria von Magdala habe eine herausragende Rolle im Kreis der Jüngerinnen und Jünger Jesu gespielt und werde hier in den Hintergrund gedrängt. So einleuchtend dies auf den ersten Blick klingen mag, es scheint, also ob einfach nur die eher große Marienfrömmigkeit der Ägypter im neunten und zehnten Jahrhundert ihren Einfluss geltend gemacht hat: Und da war es wohl fast nicht vorstellbar, dass einer anderen Frau die Ehre zuteil geworden sein könnte, den Aposteln diese Nachricht zu bringen. Auch die Ikonen könnten einen Teil dazu beigetragen haben. Die Darstellungen des Todes der Maria zeigen sie in der Mitte der Apostel, oftmals viel größer dargestellt als diese.

Die zurückgedrängte Maria von Magdala

Und gerade wenn, wie auch manche Ausleger der biblischen Berichte vermuten, Bestechung in dieser Zeit im Orient weit verbreitet gewesen sein dürfte - das Matthäusevangelium berichtet ja von einem Bestechungsversuch im Zusammenhang mit dem leeren Grab, welcher der Verbreitung von Fehlinformationen dient (Mt 27, 62-66) - dann wird mit dem Bestechungsversuch, von dem dieses Lektionar berichtet, letztlich an vorhandene Erfahrungen angeknüpft. Die Frau am Grab erwartet von dem, dem sie begegnet, eine Auskunft, die sich auf ein schweres Fehlverhalten bezieht: Leichenraub galt als schweres Vergehen und wurde entsprechend geahndet. Dass sie bereit ist, für diese Information zu zahlen, zeigt vor allem die Wertschätzung für den Verstorbenen. Allerdings wird gerade durch dieses Element die Geschichte letztlich sogar plausibler: Warum sollte jemand sich als Mitwisser eines schweren Vergehens offenbaren, wenn ihm kein Lohn dafür winkt. Und vielleicht war es gerade die Plausibilität dieser Texterweiterung, die dazu führte, dass sie Eingang in das Lektionar gefunden hat.

Einmal mehr zeigt sich: Antike Handschriften sind, selbst wenn es sich um gut bezeugte Texte handelt, noch immer gut für die eine oder andere Überraschung.

* Der Autor leitet an der Uni Wien ein Projekt des Wissenschaftsfonds (FWF) zu koptischen Handschriften

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