Bethlehem verbüchert

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Weihnachten in Prachthandschriften der Österreichischen Nationalbibliothek.

Am Anfang der Ausstellung lauscht der Evangelist Lukas vor einem noch leeren Buch: in Erwartung der Inspiration. So sah ihn ein Buchmaler im 12. Jahrhundert. Dann berichtet er über die von Kaiser Augustus befohlene Volkszählung, die Maria und Josef nach Bethlehem führt; von der Geburt, der vergeblichen Herbergssuche und der Verkündigung an die Hirten bzw. von der Begegnung mit den Hirten. Wenig ausführlich ist er, ebenso wie Matthäus.

Gerade weil die biblischen Berichte von der Geburt Jesu so karg sind, hat die menschliche Phantasie in zwei Jahrtausenden das Ereignis in märchenhaften Zauber eingekleidet. Das belegen Gipfelleistungen der abendländischen Kultur wie Bachs Weihnachtsoratorium, Grünewalds Engelskonzert und die Menschwerdung Christi auf dem Isenheimer Altar, ebenso wie der breite Strom von Brauchtum und volkstümlicher Überlieferung. Das belegen auch die Apokryphen, die nicht zum Kanon der biblischen Bücher zählenden Schriften, aus denen im Mittelalter besonders für die Ausschmückung von Christi Geburt geschöpft wurde.

Ochs und Esel als unverzichtbare Anwesende im Stall von Bethlehem stammen ebenso aus apokryphen Schriften wie die Wunder, die der Jesusknabe auf der Flucht nach Ägypten vollbracht haben soll. Aus den Apokryphen schöpften auch die Buchmaler; weitere Anregungen erhielten sie von den Weihnachtsspielen, in denen z.B. der Bethlemitische Kindermord mit auf Stangen gespießten Strohpuppen drastisch vorgeführt wurde.

Wäre die Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek eine Tafelbild-Ausstellung, wären ihr Menschenmassen und internationale Aufmerksamkeit gewiss. Da es sich aber um lichtempfindliche Miniaturmalerei auf höchstem Niveau handelt, steht nicht die laute Sensation im Vordergrund; hier ist Entdeckerfreude angesagt und das Mitbringen einer Lupe. Dann kann der Betrachter allen Stationen der Weihnachtsgeschichte zuerst in den Worten des Evangeliums begegnen und anschließend in illustrierten Handschriften, die aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit stammen und zu den größten Schätzen des Buchschatzhauses ÖNB zählen.

Luxusgut Stundenbuch

35 der 50 Kostbarkeiten sind Stundenbücher, das "weltliche" Gegenstück zum Brevier der Geistlichen: Religiöses Luxusgut für hochadelige Laien zur privaten Andacht, oft nah an den Betrachter herangerückte Szenen, eingerahmt nicht nur von Blumen, Insekten und Vögeln, sondern auch von merkwürdig unpassend anmutenden grotesken Gestalten. Dem Ziel der lebhaften Vergegenwärtigung diente das Hereinholen der Ereignisse in die jeweilige Umgebung der Maler: Trachten, Rüstungen und Architektur, ja sogar Gesten und höfische Attitüden haben die Buchmaler bedenkenlos auf die zweifellos als historisch erkannten Geschehnisse angewandt.

Realismus, ja Naturalismus einerseits, andererseits blühende Phantasie: Die Begegnung der beiden schwangeren Frauen Maria und Elisabeth zeigt durch deren Gewänder die beiden Knaben im Mutterleib: Johannes betet den Christusknaben an, dieser segnet Johannes. Die so genannten typologischen Handschriften konzentrieren sich auf die Darstellung der Zusammenhänge zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Da wird die Geburt Christi dem grünenden Stab Aarons gegenübergestellt, dem Sündenfall durch Eva das erste Wort des Engels an Maria in der Verkündigung: "Ave". Da erscheint David als Vorfahr Christi, und eine Mutter versucht während des Bethlemitischen Kinderschlachtens ihr Kleines zu retten, indem sie es - wie Moses im Schilfkörbchen - auf einem Fluss aussetzt.

Besondere Liebe ließen die Buchmaler dem fürsorglichen Josef angedeihen. Sie zeigten ihn, wie er kräftig den Blasebalg bedient, um das frierende Christkind zu wärmen und seine Hosen zerschneidet, damit es Windeln bekommt.

Der prächtige Katalog, ein ideales Weihnachtsgeschenk, gibt auch Auskunft über die Festlegung des Weihnachtfestes auf den 25. Dezember - vermutlich die Christianisierung des heidnischen Festes des unbesiegten Sonnengottes - und über die schon in der Antike bestehenden Traditionen des Schenkens und des Lebensbaums, der zum Christbaum wurde.

Ein Abstecher ins Papyrusmuseum (bis 29. 12. Mo, Mi-Fr 10-17 Uhr) ergänzt die Bücher-Weihnachtsfreude. Dort findet man in einer kleinen Schau u.a. das Weihnachtsevangelium auf Papyrus aus dem 5. Jahrhundert.

Christ ist geboren

Prachthandschriften zum Weihnachtsfest

Prunksaal der Österreichischen

Nationalbibliothek

Josefsplatz 1, 1010 Wien,

www.onb.ac.at

Bis 14. 1. Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr.

Am 24. 12. 10-15 Uhr geöffnet.

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