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Blick hinter die Kulissen
KORRIDORE DER MACHT. Von C. P. Snow. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart. 425 Sei- ten. DM 24.8
Ein leitender Physiker, der schon immer Schriftsteller werden wollte, wurde Professor Snow von der Universität Cambridge hauptsächlich für seine Verdienste im Krieg in den Adelsstand erhoben. Während der fünfziger Jahre wurde er dem breiteren Publikum eher noch als Schriftsteller bekannt und wurde schließlich auf beiden Seiten des Atlantik für seine umstrittene These über die „Two Societies” ein Begriff. Aus eigener Erfahrung — er steht als Wissenschaftler und Schriftsteller selbst mit je einem Fuß in zwei Lagern — erschreckte ihn die allmähliche Entwicklung zweier Hauptgruppen in der Gesellschaft, die von einer immer tiefer werdenden Kluft getrennt waren: Die Gruppe der Naturwissenschaftler und Techniker einerseits und die Humanisten anderseits, Absolventen der geisteswissenschaftlichen Fakultäten, die alle, infolge der zunehmenden Spezialisierung und der Trennung voneinander, schon ab dem 15. Lebensjahr eine völlig andere Denkart zu erlernen und eine andere Sprache zu sprechen beginnen. So banal diese Feststellung heute erscheinen mag — heute sind wir längst so weit gekommen, daß Wissenschaftler eng verwandter Disziplinen kaum mehr miteinander reden können —, so war es sicherlich ein Verdienst Snows, schon im ersten Dezennium nach dem zweiten Weltkrieg auf die Gefahren, die aus dieser Entfremdung entstehen, aufmerksam zu machen.
Gipfelt dieses Problem letzten Endes in der Moralphilosophie, in der erhöhten Verantwortung aller Menschen, die an geistig exponierter Stelle stehen, so interessierten den Schriftsteller Snow die persönlichen Charaktereigenschaften und moralischen Konflikte jener Menschen, die eine geistige Elite darstellen oder darstellen sollten. Acht Romane von C. P. Snow haben als Hintergrund ein fiktives College in Cambridge. Die Studenten spielen fast keine Rolle. Durch die Augen eines Dozenten Lewis Eliot verfolgt der Leser das klaustrophobische Zusammenleben der Professoren und Assistenten in einer Welt, wo kleine Gruppen miteinander disputieren, erbarmungslos gegeneinander kämpfen, wo relativ belanglose Entscheidungen gewichtige moralische Stellungnahmen verlangen. Manche Leser finden die Romane von C. P. Snow tödlich langweilig, andere werden süchtig; zur zweiten Kategorie gehört die Rezensentin. Nach einer so lang ausgedehnten Tiefenanalyse jener in sich abgeschlossenen Welt, muß auch der Autor den Spruch Groucho Marx’ bestätigt haben: „Genug ist zuviel.” Jedenfalls lieferte seine geistige Übersiedlung nach Whitehall, in jene Wandelgänge der Macht, die Lewis Eliot gleich seinem Schöpfer als Ausschußmitglied erleben durfte, einem schlagartig angewachsenen Lesepublikum das angenehm-prickelnde Gefühl, hinter Kulissen blicken zu können, wo Entscheidungen täglich getroffen werden, die jeden Sterblichen angehen.
In allen Werken identisch ist bei Snow das Bestreben, ein „moralisches Panorama” — wie ein Kritiker es einmal bezeichnete — zu entwerfen. Der Naturwissenschaftler Snow glaubt an die Übermacht des menschlichen Geistes. In den Amtsräumen entlang seiner „Korridore der Macht” arbeiten Beamte von unzweifelhafter geistiger Kapazität. Und doch werden ihre Entschlüsse oft durch allerlei Komponenten beeinflußt, die mit sachlicher Beurteilung wenig oder nichts gemeinsam haben; diese Menschen sind egoistisch, überempfindlich und machthungrig. Wird diese Feststellung noch jemanden aus seinem Sessel hochfahren lassen? Kaum. Aber der Autor besitzt die Fertigkeit, die Tragweite dieser vielen kleinen, in amtlicher Willensbildung mündenden Entschlüsse zu verfolgen, ohne es durch Identifizierung der „guten” und „bösen” Männer dem Leser leicht zu machen.
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