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Brief aus dem WC

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Anonyme Anrufe bei der Zeitung „El Diario“ und „Radio El Espectador“: „In einer Ladenstraße der Juan Carlos Gomez ist eine Nachricht für Sie.“ Die Reporter rasen los und finden in einer Toilette das „Communique Nr. 4“ der linksintellektuellen Terrororganisation „Tupamaros“. Dieses lautet: „1. Der Gesundheitszustand von Dr. Daniel Pereira Manelli“ — des entführten Strafrichters — „ist gut. — 2. Was die Diplomaten betrifft, so befindet sich Herr Dias Gomide“ — der entführte brasilianische Konsul — „wohl. Herr Mitrione“ — der gleichfalls entführte nordamerikanische Sicherheitsbeamte, der für die AID im Mon-tevideaner Polizeipräsidium tätig ist — „erholt sich von seiner Verletzung. Er wird in dem Maße vernommen, in dem es sein Zustand gestattet. — 3. Briefe beider Diplomaten an ihre Familien werden beigefügt. — 4. Damit die Diplomaten ihre Freiheit wiedererlangen, muß allen politischen Gefangenen, die sich in uruguayischen Gefängnissen befinden, soweit sie nicht ihre Strafe weiter verbüßen wollen, die Ausreise nach Mexiko, Peru oder Algerien ermöglicht werden.“

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Anonyme Anrufe bei der Zeitung „El Diario“ und „Radio El Espectador“: „In einer Ladenstraße der Juan Carlos Gomez ist eine Nachricht für Sie.“ Die Reporter rasen los und finden in einer Toilette das „Communique Nr. 4“ der linksintellektuellen Terrororganisation „Tupamaros“. Dieses lautet: „1. Der Gesundheitszustand von Dr. Daniel Pereira Manelli“ — des entführten Strafrichters — „ist gut. — 2. Was die Diplomaten betrifft, so befindet sich Herr Dias Gomide“ — der entführte brasilianische Konsul — „wohl. Herr Mitrione“ — der gleichfalls entführte nordamerikanische Sicherheitsbeamte, der für die AID im Mon-tevideaner Polizeipräsidium tätig ist — „erholt sich von seiner Verletzung. Er wird in dem Maße vernommen, in dem es sein Zustand gestattet. — 3. Briefe beider Diplomaten an ihre Familien werden beigefügt. — 4. Damit die Diplomaten ihre Freiheit wiedererlangen, muß allen politischen Gefangenen, die sich in uruguayischen Gefängnissen befinden, soweit sie nicht ihre Strafe weiter verbüßen wollen, die Ausreise nach Mexiko, Peru oder Algerien ermöglicht werden.“

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„Das Land ist im Krieg gegen den Aufstand“ — erklärte der uruguayische Innenminister General Fran-cese. In der Tat: An strategischen Punkten der uruquaischen Hauptstadt halten Militärpatrouillen mit schußbereitem Gewehr Kraftwagen und Omnibusse an, durchsuchen Passagiere, Sitzpolster und Gepäckraum nach Waffen und fordern Dokumente. Sie sind durch Überfälle so nervös geworden, daß sie in neun Fällen Unbeteiligte angeschossen haben. Die Montevideaner sitzen beim Rundfunkgerät und warten auf Nachrichten über die Guerillas, als ob es Kriegsberichte wären. Sie sind seit nahezu zwei Jahren an fast tägliche Attentate, Uberfälle auf Banken und Geschäfte, an den Raub von Waffen und Geldern gewöhnt; aber der Guerillakampf scheint in eine neue Phase getreten zu sein. Zwar hatten die Tupamaros schon zwei prominente Persönlichkeiten, den Präsidenten des staatlichen Elektrizitätswerkes, Dr. Ulises Pereira Reverbel, auf fünf Tage und den Bank- und Verlagsdirektor Dr. Caetano Pellegrini Giampietro auf 72 Tage entführt und dann unversehrt entlassen. Doch zum ersten Male wurde mit Dr. Daniel Pereira Manelli ein — übrigens hochangesehener — Strafrichter seiner Freiheit beraubt. Er hatte in etwa 100 Fällen (unter rund 170) das Urteil über verhaftete Terroristen gefällt. Diese erklärten, ihm werde nichts geschehen, und es werde ihm sogar das Medikament „Librax“ besorgt; aber er werde „vernommen“ und später „verurteilt“ werden.

Dieses Vorgehen rüttelt an den Grundlagen des Staates. Die Angeklagten machen sich zum Richter. Wenn die Terroristen die Justiz kontrollieren könnten, hätten sie damit eine der wichtigsten Staatsgewalten ausgeschaltet. Nun sind in anderen Ländern in bereits mehr als 10 Fällen Diplomaten entführt worden, in Guatemala und Brasilien sogar Botschafter. Es ist nicht die Persönlichkeit des brasilianischen Konsuls und die eines nordamerikanischen Sicherheitsbeamten, die Aufsehen erregen mußte, sondern die Forderung, daß alle — etwa 150 — politischen Gefangenen freizulassen seien. Der uruguayische Präsident Pacheco Areco hat, wie sein argentinischer Kollege, General Levingston, erklärt, daß er dem Druck der Aufrührer nicht nachgebe. Man hat den Eindruck, daß er den „schwarzen Peter“ der Justiz zuschieben wolle, weil nach uruguayischem Recht dem Obersten Gerichtshof die Begnadigung zusteht; dieser aber erklärte, daß nur ein vom Parlament anzunehmendes Amnestiegesetz die Situation lösen könnte. In den ungewissen Zustand platzte Sonntag abend die Nachricht der Tupamaros, daß nach Ablauf ihres Ultimatums betreffend die Freilassung der 150 Gefangenen der amerikanische Sicherheitsbeamte Mitri* one „hingerichtet“ wurde. Die Ereignisse überstürzen sich: 17 Tupamaros wurden verhaftet. Was wird der Morgen bringen?

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