Der Alpbacher Marshmallow-Test

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Mithilfe des Marshmallow-Tests, einem Klassiker der Psychologie, kann man angeblich voraussagen, wer ein erfolgreiches, gesundes und glückliches Leben führen wird. Fazit jener Forschung der 60er Jahre: Nicht Intelligenz oder Durchsetzungsvermögen entscheiden über Erfolg; wichtiger sind Geduld und Disziplin. Die selbstkontrollierten Versuchskinder bekommen am Ende des Tests nicht nur ein zweites Marshmallow ("Eibischzuckerl"), weil sie geduldig lang vor der Süßigkeit ausgeharrt hatten, sie leben auch mit der Prognose, später weniger depressiv und aggressiv zu werden und sind klarerweise auch weniger suchtgefährdet. Das kennt man schon lange, aber nun hat Gene Brody von der University of Georgia zusätzlich festgestellt, dass die disziplinierten Marshmallow-Gewinner schneller altern würden.

Das allerdings betrifft nur die Buben und Mädchen aus ärmeren Familien. Die Zellen der disziplinierten rich kids altern sogar langsamer. Denn wer diszipliniert den Erfolg der Eltern ausbaut, kasteit sich, aber hat bei weitem nicht die Belastung, die soziale Aufsteiger zu höherem Blutdruck, Übergewicht und mehr Stresshormonen neigen lässt.

Kaufen Sie sich einen Wecker!

Aber wer steht heute noch auf Marshmallows? Die Objekte unserer Abhängigkeiten sind längst andere. Die Technologie gibt dabei die Richtung vor. Seit das Smartphone immer dabei ist, sind wir nie ganz da, wo wir gerade sind. Und so praktisch, dieses kleine Ding: zur Erinnerung (Fotosammlung), gegen Denkfaulheit (Google), hilft bei Schüchternheit (Facebook, E-Mails, SMS) und bietet Unterhaltung (Spiele, Musik). Auf dem Gerät verschmilzt unser gesamtes Privatund Berufsleben - kein Wunder also, dass wir permanent darauf angewiesen sind. Studien zufolge nehmen Menschen ihr Smartphone im Schnitt alle 15 Minuten zur Hand. Das beginnt schon in der Früh. "Kaufen Sie sich einen Wecker!" lautet der häufigste Digital-Detoxing-Tipp (digitale Entzugskur). Denn entscheidend ist der Moment in den ersten Sekunden des Tages, bevor wir noch richtig wach sind: Das Smartphone macht sein Weckgeräusch, der Griff geht zum Gerät. Hält man es aber einmal in der Hand, checkt man darauf auch gleich sämtliche Social Media Timelines, neue E-Mails und das Wetter, anstatt aus dem Fenster zu schauen. Sigmund Freuds Vorschlag, Traumbilder zu notieren: weggewischt! Dieses erinnerungslöschende Ritual wird von Hunderten Millionen Menschen jeden Morgen praktiziert. Das Smartphone bestimmt unseren ersten morgendlichen Gedanken. Auch Geduld, Disziplin, Konzentration und Wahrnehmung verändern sich durch die digitalen Prothesen.

All das war auch Thema eines Seminars in Alpbach. Die Teilnehmer überprüften ihre Selbstkontrolle und verzichteten dazu zweieinhalb Tage auf ihre Mobilgeräte. Experten sehen mittlerweile die digitale Ungleichheit nicht nur zwischen digitalisierten Gesellschaften und Kulturen ohne ausgebauten Online-Zugang. Sie gehen auch von einem ein "digital divide" innerhalb der Gesellschaft, in der Online und Offline verschwimmen, aus. Hier sind es gerade die ICTs (Informations-und Kommunikationstechnologien), die eine Spaltung bewirken, nämlich zwischen einzelnen Personen durch Internetsucht, Aufmerksamkeitsverlust und andere Nebenwirkungen. Um diese These zu untersuchen, stellten sich die Teilnehmer freiwillig auf die "andere Seite". Als Preise winkten immerhin die bewusste Erfahrung der Tiroler Bergwelt ohne die Ablenkung durch Gipfelkreuz-Selfies, der Beweis der Selbstkontrolle mit Aussicht auf ein erfolgreiches, gesundes und glückliches Leben. Und last but not least: ein Marshmallow.

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