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Architektur, bildende Kunst - und ein neunstündiger neuer Stoppard.

Wer heute London besucht, wird nicht nur mit einem vielfältigen und reichhaltigen Kulturangebot belohnt, auch das architektonische Bild der Stadt ändert sich laufend. So ist es unter anderem ein erklärtes städtebauliches Ziel, das ehemals schummrige und heruntergekommene Südufer der Themse Schritt für Schritt in eine "String of Pearls" zu verwanden. Letztes Glanzstück in dieser Perlenkette ist das neue Londoner Rathaus, das der streitbare Bürgermeister Ken Livingstone bei Stararchitekt Norman Foster in Auftrag gegeben hatte und das kürzlich eröffnet wurde. Das eiförmige Gebäude nächst der dominierenden Tower Bridge polarisiert seitdem die Londoner Gemüter. Wie auch immer - interessant ist das im wahrsten Sinne des Wortes "schräge" Gebäude allemal, vor allem da es, von verschiedenen Blickwinkeln aus gesehen, durchaus reizvolle Varianten bietet.

Schon vor zwei Jahren wurde das Südufer durch die Tate Modern und das neu erstandene Globe Theatre geschmückt, die seitdem Fixanziehungspunkte nicht nur für die Londoner selbst, sondern insbesondere auch für Touristen sind. Die Tate Modern, in einem ehemaligen kalorischen Kraftwerk untergebracht, das um stolze 180 Millionen Euro für den Ausstellungsbetrieb adaptiert wurde, bringt - neben der ständigen Sammlung - laufend Sonderausstellungen. Eine Fußgänger-Millenniumsbrücke - ebenfalls von Sir Norman Foster - bietet heute die Gelegenheit, binnen weniger Minuten vom Kulturtempel der Moderne zur St. Pauls Kathedrale, dem Meisterwerk Sir Christopher Wrens, zu gelangen. (Der Baumeister selbst hatte es damals, im 17. Jahrhundert, nicht so einfach; er lebte nämlich in einem der beiden historischen Häuser zwischen Tate und Globe, worüber eine unscheinbare Tafel den wissbegierigen Besucher informiert, und musste entweder den Umweg über die London-Bridge oder eine Bootsfahrt wählen, um an seine Baustelle zu gelangen.) Das benachbarte Globe Theatre bietet neben authentischen Shakespeare-Darbietungen eine permanente Ausstellung über die Londoner Theaterwelt zu Zeiten des unsterblichen Barden.

Die Übersiedlung der internationalen Moderne aus der alten Tate Gallery, die schon aus allen Nähten zu platzen drohte, gab Gelegenheit, diese nicht nur zu renovieren, sondern auch die Bestände neu zu präsentieren. Unter dem neuen Namen "Tate Britain" hat sich diese Galerie nunmehr der Pflege britischer Künstler verschrieben.

In der Royal Academy kann man noch bis 17. November 2002 die interessante Schau "Masters of Colour" mit Werken aus der Merzbacher Sammlung besichtigen, die einen Bogen von einem frühen Cézanne (1866) bis zu einem Stillleben Max Beckmanns aus 1950 umfasst; eine eindrucksvolle Tour d'horizon über hundert Jahre Entwicklung in der Malerei, als Fest der Farbenfreude konzipiert.

Auch das British Museum ist immer wieder einen Besuch wert. Nicht nur wegen seines Standardbestandes (darunter immerhin zwei Weltwunder der Antike) und der ständig wechselnden Sonderausstellungen, sondern auch wegen seiner architektonischen Neuadaptierung nach dem Auszug der Bibliotheksbestände. Dadurch konnte Platz zurückgewonnen werden, um die Großzügigkeit des Entrées dieses Museums, das vor 150 Jahren entstanden ist, wiederherzustellen bzw. durch eine interessante Deckenkonstruktion noch verstärkt zur Geltung zu bringen.

Stichwort National Library: Diesen Beständen wurde neben dem Londoner St. Pancras Bahnhof ein neues und geeigneteres Heim gegeben, das anzusehen lohnend ist, obwohl es etwas abseits der touristischen Trampelpfade liegt (jugendliche London-Besucher werden sich eher für den nahegelegenen King's Cross Bahnhof interessieren, von dessen Bahnsteig Nr. 9 3/4 bekanntlich Harry Potters Zug nach Hogwarts abfährt).

Dass auch die Londoner Theater an Quantität und Qualität einiges zu bieten haben, ist bekannt, wobei Touristen meist die reiche Auswahl an mehr oder weniger aktuellen sowie unterschiedlich niveauvollen Musical-Aufführungen schätzen. Heuer verdient jedoch eine Neuproduktion des Sprechtheaters besondere Aufmerksamkeit, denn der wohl größte zeitgenössische englische Dramatiker Tom Stoppard meldet sich mit einem Monumentalwerk zurück: "The Coast of Utopia", das im August Premiere hatte, ist ein neunstündiges Werk, das der Autor gnädigerweise in drei Teile geteilt hat. Stoppard präsentiert mit diesem Mammutwerk eine Geschichte der russischen Intelligenzija und von deren Schicksal zu Hause und im Exil. Während Utopisten wie Karl Marx oder Bakunin all die fertigen Antworten auf die Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung haben, sind es Denker wie Turgenjew und Alexander Herzen, die es sich mit den einfachen Rezepten nicht so leicht machen, die den Dogmen misstrauen und pragmatische Ansätze bevorzugen.

Das Werk fordert nicht nur den 80 Charakteren, sondern auch dem Publikum einiges ab, denn wie immer bei Stoppard handelt es sich um keine leichte Kost, sondern um intellektuelle Dialoge vom Feinsten; dass dabei der typisch britische Humor nicht zu kurz kommt, ist erfreulich und macht das Stück, neben den schauspielerischen Leistungen, besonders sehenswert.

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