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Briefpublikation mit Vorbehalt

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Hugo Ball: Briefe 1911 bis 192 7. 315 Seiten und 12 Tafelbilder. Benziger-Verlag, Einsiedeln

Vor einigen Jahren entstand der Plan, die in alle Winde zerstreuten Briefe Hugo Balls zu sammeln und in einem Band herauszugeben. Das war aber leichter gewollt als getan; und Annemarie Schütt- Hennings (die Tochter von Emmy Ball-Hennings, die seit dem Tode ihrer Mutter den Nachlaß Hugo Balls betreut) bekam Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Zu vieles war in den dreißig Jahren nach Hugo Balls frühem Hinscheiden verlorengegangen, zu viele der einstigen Freunde auch waren inzwischen gestorben oder man wußte nicht mehr, wo sie waren. Aber schließlich kam dann noch ein Bündel Briefe zusammen, die man ergänzen konnte mit einigen der schon edierten Briefe Balls an seine Frau Emmy, an seinen Vetter August Hofmann und an Hermann Hesse. So entstand ein Buch von 300 Seiten mit einem (allerdings schon nicht mehr unbekannten Vorwort von Hermann Hesse), einem Werkverzeichnis und einem Personenregister und zwölf Bildern, von denen einige noch kaum bekannt sein dürften.

Die Briefe an Emmy Ball und August Hofmann kennt man bereits aus der Publikation von 1930 (Emmy Ball-Hennings: „Hugo Ball. Sein Leben in Briefen und Gedichten“). Sie scheinen von dorther übernommen worden zu sein, denn sie zeigen noch die gleichen Auslassungen und Kürzungen im Text. Auch die Briefe an Hesse sind vielfach noch genau so gekürzt wie früher, bis auf einige, die nun unbearbeitet vorzuliegen scheinen, und an diesen kann man ersehen, daß Emmy Ball einst nicht ohne Willkür mit den Originalen verfuhr. Man vergleiche, um einen Begriff davon zu bekommen, den Brief von Hesse vom 27. Juli 1925 (Seite 218 des neuen Bandes) mit dem der Edition von 1930 (dort Seite 245 ff.), und man wird finden, daß es nicht nur bei Kürzungen blieb, sondern auch zu Aenderungen des Textes kam, ein Sachverhalt, der alle, die über Ball zu schreiben haben, zur Vorsicht mahnen muß. Ausgefallen sind die Briefe an Englert, hinzugekommen aber die an Balls Schwester Maria, an Tristan Tzara, Professor Carl Schmitt, Dr. Fuchs, Prof. Karl Muth, P. Beda Ludwig und Dr. Feuchtwanger und vereinzelt an Hans Arp, Richard Hülsenbeck und Jakob Hegner. Das ist viel und wenig zugleich; viel, wenn man zum Beispiel weiß, wie schwer die Briefe an Tzara zu bekommen waren, und wenig, wenn man nun erkennen muß, daß sie nicht allzu ausgiebig sind. Sie geben nichts Neues; sie zeigen höchstens die Beziehungen Balls und der Dadaisten zu Apollinaire Cocteau und den kommenden Surrealisten und umschreiben sehr andeutungsweise auch eine peinliche Affäre, die zu einem Krach zwischen Ball und Tzara geführt hat. Alles übrige aber wußte man schon aus den Büchern von Emmy Ball.

Aufschlußreich dagegen sind die Briefe Balls an seine Lieblingsschwester Maria aus den Jahren 1911 bis 1914; aufschlußreich vor allem für Balls Theaterzeit in München und Berlin und seine ersten Versuche, in den Literatenkreisen Fuß zu fassen und in München an den Kammerspielen Wedekind und Claudel durchzusetzen. Man wird aber z'u bedenken haben, daß diese Briefe an Schwester Maria immer auch ein . wenig „für die zu Hause" bestimmt waren und daß sich der „verlorene Sohn“ eben ins beste Licht zu setzen versuchte und meistens nach der erfolgreichen Seite hin übertrieb. Es ging nicht ohne Bramarbasieren ab und Verschiedenes wird man nicht .für bare Münze nehmen dürfen.

Sehr aufschlußreich in einer anderen Hinsicht sind auch die Briefe an Prof. Carl Schmitt, den Staatsrechtler und Rechtshistoriker, der in der Hitlerzeit eine reichlich zwiespältige Rolle gespielt hat, damals aber in katholischen Kreisen sehr en vogue war, aber offenbar nicht nur in katholischen Kreisen, sondern auch in denen deutscher Militaristen und Chauvinisten. In Balls Leben hat er insoferne in fataler Weise eingegriffen, als er Ball, vermutlich im Auftrag einiger dunkler Hintermänner, zu veranlassen suchte, das bereits im Druck befindliche Buch „Die Folgen der Reformation“ zurückzuziehen und zu unterdrücken, wofür ihm eine gewisse Entschädigung in Aussicht gestellt wurde. Als Ball diese Zumutung rundweg ablehnte, entfesselte Schmitt mit Hilfe seines Schülers Waldemar Gurian ein Kesseltreiben, das bedenkliche Formen annahm. Darüber kann man nachlesen in den Briefen an Schmitt, Prof. Muth, Dr. Feuchtwanger und Hermann Hesse. Glücklicherweise waren die Briefe an Schmitt wenigstens in Abschriften vorhanden, sonst hätte man sie kaum mehr zu Gesicht bekommen. Begreiflicherweise ...

Die Mühe, diese Sammlung zustande zu bringen, hat sich jedenfalls gelohnt, Die meisten Briefe lesen sich leicht und sind nicht in jenem hochintellek- tuellen Jargon abgefaßt, der beispielsweise das Tagebuch „Flucht aus der Zeit“ streckenweise etwas ungenießbar macht; es sind wirklich Briefe und nicht für die Oeffentlichkeit geschriebene Episteln, und sie ergänzen die biographischen Versuche Emmy Balls in vieler Hinsicht. Aber eine wissenschaftliche Edition liegt natürlich nicht vor, sondern nur ein Briefband, der einen möglichst breiten Leserkreis anzusprechen versucht. Die Ball-Forschung, soweit sie schon eingesetzt hat, wird diese Publikation, wie alle bisherigen, nur mit Vorbehalt für gültig erachten können.

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