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Eine Dokumentation zeigt die Salzburger Festspiele auch von ihren weniger glanzvollen Seiten - und sorgt damit für viele Kontroversen.

Wenn in Salzburgs Partnerstadt Shanghai zu Ehren von Besuchern aus Österreich mit Begeisterung das Lied "Edelweiß" angestimmt wird, blicken die solcherart Geehrten betreten zu Boden. In China, erzählt ein chinesischer Diplomat, kann jedes Kind diesen Hit aus dem Film "The Sound of Music" mitsingen; den allermeisten Österreichern hingegen ist jener Film, der das Österreichbild in aller Welt bestimmt, gänzlich unbekannt. Ähnlich könnte es der Dokumentation "The Salzburg Festival" des renommierten britischen Filmemachers Tony Palmer über die Salzburger Festspiele gehen: ein filmisches Standardwerk, bislang in 23 Länder verkauft, aber in Österreich naserümpfend ignoriert.

Mit über 100 Interviewpartnern, von Anna Netrebko bis Bundespräsident Heinz Fischer, von Placido Domingo bis Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, sowie einer Vielzahl von historischen Bild-und Tonaufnahmen ist der dreistündige Streifen die bisher umfangreichste filmische Dokumentation über die Salzburger Festspiele. In dem trotz Überlänge nie langatmigen Film wird die Geschichte des weltbekannten Festivals reflektiert und in einen welt-und kulturgeschichtlichen Zusammenhang gestellt. Gespannt wird ein weiter Bogen von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, der Nazizeit, der Nachkriegszeit, der Karajan-Ära, als der internationale Jetset die Spiele für sich entdeckte, der Ära Gerard Mortier, als das zeitgenössische Regietheater in Salzburg Einzug hielt, bis heute.

Stets bemüht sich der Film um Ausgewogenheit. So bringen ehemalige Sängerstars ihr Entsetzen über heutige Operninszenierungen zum Ausdruck, ohne dass sie dafür mit Spott überzogen würden - im Gegenteil, ihr Schmerz darüber, dass die Zeit über sie und ihre Welt hinweggegangen ist, wird spür-und greifbar.

Von lobhudelnder Hofberichterstattung ist "The Salzburg Festival" allerdings weit entfernt. Die Klarstellung, dass Herbert von Karajan ein überzeugter Nationalsozialist war, der Hinweis auf latenten Antisemitismus in der Salzburger Bevölkerung, mit dem die Festspiele von Anfang an konfrontiert waren, wird Lokalpatrioten nicht freuen, auch nicht, dass ein Historiker im Interview die autobiographischen Werke von Thomas Bernhard als ideale Einführungslektüre in die Salzburger Mentalität bezeichnet. Auch jene Krämerseelen, die das Festival nur nach seinem ökonomischen Nutzen beurteilen, kommen zu Wort. Phänomene wie Mozart-Würste oder Nepp sind nur die logische Folge davon.

Tatsächlich stößt der Film bei den Salzburger Festspielen auf wenig Gegenliebe. "Diverse Geschmacklosigkeiten, die Langatmigkeit und vor allem die historischen Fehler" seien die Gründe dafür, warum man für diese Dokumentation keine Empfehlung aussprechen könne, heißt es aus dem Festivalbüro. Der Film weise eine "Vielzahl von Fehlern, Ungenauigkeiten und chronologischen Unrichtigkeiten" auf, beklagt Festivalpräsidentin Rabl-Stadler, die sich zu Formulierungen wie "Pfusch" und "falsch verstandener Schulfunkstreifen" versteigt. Am besten sei es, möglichst nicht über den Streifen zu reden und keine Publicity zu machen, ist die Präsidentin überzeugt.

In der Tat weist der Film gewisse Ungenauigkeiten bei der Reihung von Bildern und Originaltönen auf. Zum Beispiel geht es gerade um das Jahr 1933, als plötzlich Arturo Toscanini auftritt, der aber erstmals 1934 in Salzburg dirigiert hat; oder das Verhältnis von Wilhelm Furtwängler zum nationalsozialistischen Regime wird mit Bildern von einem Konzert in Berlin illustriert (ein bei historischen Dokumentationen mangels entsprechenden Originalbildern übliches Verfahren).

Für die meisten Zuschauer, die einen Gesamteindruck über die Geschichte des Festivals gewinnen wollten, seien Hinweise auf derartige Ungereimtheiten nichts als "Beckmesserei", meint Gert Kerschbaumer. Der Kulturhistoriker und Spezialist für Salzburger Geschichte des 20. Jahrhunderts beurteilt die Dokumentation als gut recherchiert und fair in ihrer politisch-gesellschaftlichen Gewichtung. Sein Resümee: "Der Film vermittelt eindrücklich die Spannung zwischen Welttheater und provinziellem Denken. Die aktuelle Kritik vor allem von Festspielpräsidentin Rabl-Stadler ist für mich nicht mehr und nicht weniger als ein weiterer Aufguss dieser Spannung."

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