7093424-1994_38_04.jpg
Digital In Arbeit

Urängste wider jede Vernunft

19451960198020002020

In Tirana stehen fünf Männer vor Gericht: angeklagt wegen Hochverrats zugunsten Griechenlands.

19451960198020002020

In Tirana stehen fünf Männer vor Gericht: angeklagt wegen Hochverrats zugunsten Griechenlands.

Werbung
Werbung
Werbung

Athen weist Tausende Grenzgänger aus, die über die albanische Grenze gekommen sind, um „drüben“ Arbeit zu finden und mit dem Verdienst die Familien zu Hause ernähren zu können. Die Grenze am Grammos ist nach 40 Jahren der hermetischen Absperrung wieder unruhig geworden.

Die Angeklagten von Tirana, wie die abgeschobenen Schwarzarbeiter, stammen aus demselben Gebiet zwischen Koritza (Korea) im Norden und Ajii Saranda (Sarande) im Süden, mit dem Hauptort Arjirokastro (Gjirokastra), wo die Menschen albanisch wie griechisch sprechen und sich vor allem durch die Religion der einen oder andern Ethnie zuteilen lassen - Moslems die Albaner, Orthodoxe die Griechen. Aus dem Gebiet also, das für die einen „Südalbanien“, für die andern „Nordepirus“ ist und das zwischen ihnen umstritten ist, seit es aus der osmanischen Herrschaft ausgebrochen ist.

Dieses Gebiet hat niemals — wie kürzlich in einer Rundfunkmeldung behauptet worden war — zum griechischen Staat gehört, wie er heute besteht und sich über 120 Jahre aus der türkischen Erbschaft zusammengefügt hat. Als in den Balkankriegen 1911/12 auch ein unabhängiges Albanien geschaffen werden sollte, beeilten sich Montenegriner und Serben, Italiener und Griechen, ihre Interessen zu wahren. Die Griechen waren in den Epirus mit der Hauptstadt Janina einmarschiert und drangen über die Berge nach Norden vor, wo Griechisch sprechende Menschen Regionalregierungen bildeten und die Unabhängigkeit des Epirus proklamierten, um den Anschluß an Hellas zu erreichen.

Zweimal mußte Griechenland dem Druck von außen weichen - 1916 jenem der Alliierten, 1941 wieder dem der Deutschen: 1940 hatten die Italiener vom besetzten Albanien aus versucht, in Griechenland die Helden zu spielen - und waren von den Hellenen im Gegenstoß bis weit nach Albanien hinein zurückgeworfen worden. Südalbanien erhielt eine griechische Verwaltung. Als aber die Wehrmacht über den Balkan zog, mußten die Griechen sich zurückziehen. In den Jahren darauf wurde der Nordepirus mit seinen unwegsamen Gebirgstälern zum Reduit der griechisch-kommunistischen Partisanen, die ebenso gern gegen die deutsche Besatzung wie gegen die königstreuen Landsleute kämpften, nach dem Abzug der Deutschen noch bis gegen Ende der Vierzigerjahre.

Heute steht die Grenze zwischen Griechenland und Albanien ebenso wenig zur Diskussion wie jene zwischen Griechenland und Mazedonien - aber Emotionen, Urängste verdrängen die Vernunft, die für ein friedliches Nebeneinander der Nachbarn spräche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung