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Neue Kunst — neues Leben

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Im Sommer hat man sich im Wiener Künstlerhaus noch zu einer wichtigen Ausstellung aufgerafft - einer Schau, die fast untergegangen ist in der Wiener Kulturflaute. Die Galerie Bargera aus Köln bringt eine Sammlung von Vertretern der russischen Avantgarde: Bilder, die eindrucksvoll dokumentieren, worum es dem Kreis von Malewitsch, den Formalisten, Supremati- sten und Konstruktivisten, eigentlich ging.

Da taucht noch einmal der Versuch eines sich radikalisierenden Bürgertums auf, das Leben durch die Kunst zu verändern, Kunst als Ausdruck einer revolutionären Gesinnung zu verstehen, als „Reflex eines kreativen Volkes“. Ein idealistisches Konzept, das den alten Mythos von der Einheit von Kunst und Leben wieder aufgreift, den schon Marx in einer nicht sehr geglückten und nicht sehr durchdachten Passage seiner Werke angedeutet hat.

Ausgegangen waren sie alle von einem Protest gegen das Herkömmliche, gegen das Konventionelle, das Erstarrte. Ein Aufstand gegen die Kunst, der erst später zu einem Aufstand gegen die Gesellschaft wurde und noch später im plakativen sozialistischen Realismus verkam. Denn in den Konstruktionen dieser Russen liegen die Wurzeln für eine spätere sozialistische Kunst, die nach der Versteinerung der Revolutionsidee selbst versteinerte, zu einem Herrschaftsinstrument wurde.

Allerdings waren Malewitsch, Bur- liuk und auch Tschaschnik, der zweite große Theoretiker der Avantgarde, noch sehr dem bürgerlichen Selbstverständnis von Kunst verhaftet. „Die Liebe zu den alten Gegenständen und die Macht der Gewohnheit stellen sich hemmend in den Weg. Für die Kunst ist noch kein Verbraucher da. Er muß geschaffen werden“ (Malewitsch). Kunst sollte also eher für den Konsumenten sein, als vom Konsumenten ausgehen.

Was Malewitsch besonders wichtig macht, sind seine theoretischen Auseinandersetzungen mit Kunst, sein Versuch, den bis dahin herrschenden Idealismus und Positivismus zu zerschlagen, rationale Struktur von Kunst- und Kunstbetrachtung zu erarbeiten. Ein Zug, der nicht bei der bildenden Kunst stehenblieb, sondern sich auf andere Bereiche erstreckte - auf die Architektur, auf die Gestaltung des Lebens überhaupt, Humanisierung von Kunst, Rückführung der Kunst auf wenige, geometrische Grundmuster, auf das Quadrat etwa. Kunst sollte von jedem erfaßt, begriffen werden.

Ein idealistisches Konzept. Denn statt in Vereinfachung verflüchtigte sich die Kunst in Utopien, in kaum durchschaubare Konstrukte, ein geheimes Eingeständnis des eigenen Scheiterns gewissermaßen. Kunst und Revolution, Kunst und Volk konnten nicht zusammengepreßt werden, weil es noch keine proletarische Kunst gab, sie nie gegeben hat.

Der großangelegte Versuch, aus den Zwängen bürgerlicher Kunst auszubrechen, entpuppte sich als Zugeständnis spätbürgerlicher Kunstformen. Die Utopien wurden eingeholt oder einfach verboten. Denn die Verhärtung des sowjetischen Systems zeichnete sich nach der kurzen liberalen Ära nach der Oktoberrevolution schon ab. Kunst hatte der Herrschaft zu dienen. Herrschaft wiederum dul det keine Avantgarde, die sie in Frage stellt.

Heute noch faszinieren die Ansätze von Malewitsch und seinem Kreis, beweisen die Bilder noch die herausragende künstlerische Qualität. Von der gesellschaftlichen Wirkung her - die das eigentlich beabsichtigte Moment war - sind sie Vergangenheit, Museumsstücke.

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