Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Starker Goethe, schwacher Kleist
Vor genau zehn Jahren kehrte das Tiroler Landestheater in sein wiedererstandenes Gebäude zurück. Zum Jahrestag zeigte es mit zwei Schauspielpremieren, was es kann. Sie setzen die erstaunliche Serie gelungener Aufführungen dieser Spielzeit fort, die bisher nur durch Camus’ „Mißverständnis” Anfang November gründlich durchbrochen wurde.
Lag es an der nicht immer glücklichen Neigung des Theaters zu Zyklen, daß nach „Tasso” und „Egmont” jetzt Goethes widersprüchliche und dramaturgisch schwache „Stella” gebracht werden mußte? Doch die Inszenierung ließ alle Skepsis verstummen. Denn Goethes „Schauspiel für Liebende” in seiner ersten Fassung mit dem versöhnlichen Schluß wurde zu einem faszinierenden Theaterabend. Regisseur Oswald Fuchs schuf mit seinem Bühnenbildner Heinz Hauser eine Atmosphäre reinsten Biedermeiers, die der Verinnerlichung der Schicksale wohl anstand: Feinste Nuancierungen und ein verlangsamtes Spieltempo ergaben nicht nur eine ästhetisch gelungene Konfrontierung mit der gedanklichen Substanz des Stückes, sondern überraschenderweise auch ungewöhnliche Spannung. Sonja Höfer gestaltete eine Cäcilie von geradezu heiterer Größe. Mit der glänzend gespielten Stella setzte Barbara Schalkhammer die Reihe ihrer idealen innigen Liebenden fort. Der Gast Gerhard Balluch brachte überzeugend einen anziehenden und doch zerrissenen Fernando.
Um nicht nur die hauseigenen Gedenktage zu begehen, wurde der „Zerbrochene Krug” anläßlich des 200. Geburtstages Heinrich von Kleists aufgeführt Der (nicht nur als Kleist-Spezialist) bekannte deutsche Regisseur Kai Braak entschied sich für die Atmosphäre des holländischen Genrebildes (Bühne: Hansjörg Stock) und folgte damit der üblichen Interpretation, die im Stück zwar dunkle Untertöne zeigt, aber nicht zum Ernst der Entlarvung des Menschlichen vorstößt. Die Vielschichtigkeit der Kleist- schen Gestalten kam bei aller Turbulenz seines Spiels wirklich zum Tragen, nur bei Oswald Fuchs als Adam, der über den Text hinaus zur Zentralfigur wird und das Stück ganz trägt. Wenig Gewicht wurde auf die Erarbeitung der Vielschichtigkeit der anderen
Personen gelegt. Im Rahmen dieser Typisierung lieferten schauspielerische Kabinettstücke Gerti Rathner (Marthe), Franziska Grinzinger (Eve) und Werner Steinmassl (Ruprecht). Kleist aber hätte mehr verdient als eine glänzende Charakterstudie des Dorfrichters Adam mit gutem Beiwerk.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!