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Mehr Glück mit Bewährtem

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Wenig Erfolg mit Neuem, dafür aber um so mehr Glück mit der qualitätvollen Wiedergabe von längst Bewährtem ist den Grazer Bühnen in letzter Zeit beschieden. Milo Dors Farce „Menuett“, die im Schauspielhaus uraufgeführt wurde, beruht auf der geschichtsphilosophischen Erkenntnis ihres Autors, daß einer Epoche des Friedens immer Krieg folgt, der in eine revolutionäre Umwälzung übergeht, die dann wiederum in einer den nächsten Krieg in sich tragenden scheinbaren Ordnung ihr vorläufiges Ende findet. Diese Erkenntnis sollte nach dem Willen des Autors, eingekleidet in ein Spiel nach Art der Commedia dell'arte, eine unterhaltsame Farce werden. Gert-Hagen Seebach gab ihr mit seiner Inszenierung viel, ja schon zu viel Gesicht; er konnte damit jedoch dem Betrachter nicht mehr als ein gelegentliches Lächeln abgewinnen. Die Hinweise auf Dors historische „Erkenntnisse“ überwog die Pointen des sehr harmlosen Spiels um zwei Liebende, die inmitten der andauernden Wirren zueinander nicht finden können.

Fritz Geissler, in der DDR bekannter Komponist von Symphonien und nun auch Opern, will Heinrich von Kleists Denken und Fühlen in die musikalische Sprache des 20. Jahrhunderts übersetzen. Dazu strich er den „Zerbrochenen Krug“ auf eine etwas über eine Stunde dauernde Handlung zusammen. Elf Sänger exekutieren das Lustspiel, während elf Musiker als Solisten im Orchestergraben kommentierend tätig sind. Die Komposition, die sich der meisten einschlägigen Techniken der Gegenwart bedient, will geistreich, ironisch, witzig sein. Aber lautmalende Charakterisierung, leitmoii-vische Bezüglichkeiten, dienstbeflissene Melismen für den Schreiber Licht, expressive Lyrismen für Eves Reinheit und Tonsymbole (Horntöne für den Gehörnten) sind samt aleatorischer Technik weder witzig noch interessant genug, um diese österreichische Erstaufführung auf der Probebühne mehr als ein paar Reprisen lang am Leben zu halten.

Dafür aber brilliert Intendant Nemeth mit seinem Finanzdirektor Tarjan wieder bei einem Opernsaison-Abschlußfest und schleust solcherart für diese Jahreszeit ungeahnte Besuchermengen ins festliche Opernhaus. Selbst die beklemmend schlechte und verstaubte Inszenierung A. Diehls von „Rigoletto“ wird wieder aufgewärmt, um keinem Geringeren als Aldo Protti die Gelegenheit zu geben, seinen noch immer prächtig klingenden Bariton an die Grazer zu verschwenden. Jn dieses Saisonschlußfest eingebaut ist auch eine Neuinszenierung von Donizettis „Lucia di Lammermoor“, die nun wahrhaftig zum Allerbesten gehört, was sich unter dem Titel der AVie-derbelebung unspielbar geglaubter Opern tut. Musik und Szene sind zu einer kaum vorstellbaren Einneit geworden. Paul Hager läßt das schaurige, verworrene Geschehen in zwölf Bildern vorführen, „zeigen“ — fast wie bei Brecht. Jedes Bild ist ein in sich geschlossenes Ganzes, das ohne jegliche Aktualisierung, ohne Versuch zur „action“ fast statuarisch in sich ruht. Die beinahe leere Bühne erhält ihr prachtvoll-edles Gepräge durch die meisterhaften Projektionen Wolfram Skalickis. Trotz dieser bewußt asketischen Haltung gegenüber dem Geschehen der Oper wird der Zuseher nicht müde, dieses sorgfältig gezähmte Ritual von Gesten und Bewegungen zu genießen. Das musikalische Format entspricht völlig dem szenischen: es könnte an einer weit größeren Bühne nicht besser sein. Hector Urban hat sich als Dirigent auf einen gedämpften und gebändigten Orchesterklang festgelegt; Milena dal Piva in der Titelrolle ist ein Ereignis von internationaler Gültigkeit, und ihre Partner Ruggero Bondino (Edgar) und Benito di Bella (Enrico) stehen ihr um nichts nach. Der Jubel um diese Produktion ist begreiflich.

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