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Lebensträume

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Ysang Yun wurde 1917 als Sohn eines Schriftstellers in Südkorea geboren und studierte in Japan Musik. Seit 1946 lehrte er in seiner Heimat, zuletzt an der Universität von Seoul. Seine Studien setzte er 1956 in Europa fort, vornehmlich bei Boris Blacher und Josef Rufer, aber der Einfluß der Darmstädter Schule war stärker. Seit 1964 lebt er in Berlin; für die dortigen Festwochen schrieb er die Oper „Der Taum des Liu-Tung“. 1967 wurde er verhaftet und nach Südkorea entführt, dort zunächst zu lebenslangem Kerker verurteilt, aber dank eines weltweiten Protests schon nach zwei Jahren entlassen. In dieser Zeit schrieb er seine Oper „Die Witwe des Schmetterlings“ und vereinigte sie mit „Liu-Tung“ unter dem Titel „Träume“.

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Ysang Yun wurde 1917 als Sohn eines Schriftstellers in Südkorea geboren und studierte in Japan Musik. Seit 1946 lehrte er in seiner Heimat, zuletzt an der Universität von Seoul. Seine Studien setzte er 1956 in Europa fort, vornehmlich bei Boris Blacher und Josef Rufer, aber der Einfluß der Darmstädter Schule war stärker. Seit 1964 lebt er in Berlin; für die dortigen Festwochen schrieb er die Oper „Der Taum des Liu-Tung“. 1967 wurde er verhaftet und nach Südkorea entführt, dort zunächst zu lebenslangem Kerker verurteilt, aber dank eines weltweiten Protests schon nach zwei Jahren entlassen. In dieser Zeit schrieb er seine Oper „Die Witwe des Schmetterlings“ und vereinigte sie mit „Liu-Tung“ unter dem Titel „Träume“.

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In dieser Form wurde das zweiteilige Werk am 23. Februar 1964 im Nürnberger Opernhaus uraufgeführt, das diese seine Produktion auf Gastspielreisen in Berlin, Frankfurt, München — und nun auch in der Wiener Volksoper zeigte. Was man hier zu sehen bekam, war eine ideale Verwirklichung der Vorstellung des Komponisten. Peter Heyduck hat, besonders im 1. Teil, eine faszinierende Traumwelt mittels ' Schleiern und Projektionen auf die Bühne gezaubert. An Requisiten ist nur das Nötigste vorhanden, die Atmosphäre wird durch sehr poetische abstrakte Projektionen (das gibt es!) bestimmt, zu denen die orientalischen Kostüme von Margret Kaulbach bestens passen.

„Der Traum des Liu-Tung“, nach einem altchinesischen Lehrstück aus dem 14. Jahrhundert von Winfried Bauernfeind zu einem Operntext geformt, besteht aus einem Vorspiel und vier Traumbildern, in denen ein junger Student — durch vier Angstträume mit bösem Ausgang — dazu gebracht wird, dem Wein, der Liebe, dem Haß, der Leidenschaft, dem Streben nach Reichtum abzuschwören und zum Jünger des Tao zu werden. Es treten auf: ein Unsterblicher, ein Eremit, die Wirtin einer Herberge, ein Händler und seine Frau, der Chor der Himmlischen — und immer wieder Liu-Tung. Am Schluß erkennt er: „Das Leben ist ein Traum“ — wie die Helden Calde-rons, Grillparzers und Hofmannsthals ...

Im zweiten Stück wird das Motiv der Entsagung als Flucht aus der bürgerlichen Existenz (eines Mandarins), vor einer bösen Frau usw. ins Komisch-Satirische gewendet, zumal sich der große Gelehrte und Hofbeamte auch als Schürzenjäger erweist. Eingekleidet sind diese Szenen in eine Fabel: Lao-Tse erzählt seinem Schüler vom mythologischen Schmetterling im Garten einer Fee. Der Stoff beider Opern ist also keineswegs revolutionär, eher das Gegenteil davon, denn der Taoismus hat weder in China noch in dessen Nachbarländern Uberlebenschancen.

Die Musik Isang Yuns basiert auf der Homophonie altkoreanischer und altchinesischer Musik, was sich in reichen koloraturartigen Figuratio-nen der Singstimmen dokumentiert. Das Orchester ist von mittlerer Größe und wird nur durch einen reichhaltigen Apparat verschiedenster Geräusch- und Schlaginstrumente bereichert. Von der Strenge kaiserlich-chinesischer Hof- und Tafelmusik ist nicht viel übriggeblieben, höchstens im Kolorit. Der europäische Einfluß ist weitaus stärker, es gibt zwölftönige Passagen, gewaltige Ballungen und orgiastische Ausbrüche. Im Ganzen herrschen die lauten Teile vor, was auf die Dauer abstumpfend und ermüdend wirkt. Vieles klingt nach zeitgenössischer Festival-Musik, Isang Yun war ein gelehriger Schüler der europäischen Avantgarde, darauf weisen auch einige Titel der 26 Kompositionen, die er seit 1958 geschrieben hat, wie „Colloides sonores“, „Fluktuationen“ und „Dimensionen“ — also ganz ä la mode. (Als Olympia-Auftragsoper wird sein neuestes Werk „Sim Tjong“ am 1. August in München uraufgeführt.)

Obwohl uns keine Bekanntschaft mit einem kompositorischen Genie vermittelt wurde, ist man für dieses Gastspiel dankbar, zumal wir dem Nürnberger Generalmusikdirektor Hans Gierster, dessen musikalische Qualitäten wir seit langem kennen und schätzen, eine authentische Realisierung dieser komplizierten Partitur zutrauen. Sie einigermaßen transparent zu machen, mag viel Mühe gekostet haben. Neben den anerkennenswerten gesanglichen Leistungen sei besonders die deutliche Diktion der Damen Maria de Francesca, Ruttkowski und Schmidt sowie die der Herren Agrelli, Curzi, Hanner und Gniffke hervorgehoben und bedankt.

Das Nürnberger Opernhaus, das mit seinem Chor und Orchester, seinen eigenen Dekorationen und Kostümen in der Volksoper gastiert hat, bewies wieder einmal, was ein ambitioniertes Ensemble unter fachkundiger Leitung zu leisten imstande ist. Alle Mitwirkenden, mit dem Komponisten in der Mitte, wurden lang und lebhaft akkla-miert.

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