Rene Pollesch - © Foto: APA / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen

Zum Tod von René Pollesch: Theatermachen als soziale Praxis

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Der 61-jährige René Pollesch ist am Montag überraschend verstorben. Er war einer der wichtigsten Theaterkünstler der Gegenwart.

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Der 61-jährige René Pollesch ist am Montag überraschend verstorben. Er war einer der wichtigsten Theaterkünstler der Gegenwart.

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Er wurde einmal als der führende Protagonist unter den „deutschen theatralischen Hochleistungssportlern“ bezeichnet. Tatsächlich weist die schiere Anzahl von über 200 Inszenierungen, für die er seit 1998 stets auch als Autor zeichnete, René Pollesch als wohl produktivsten Theaterkünstler der Gegenwart aus. Und nicht nur das: Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Pollesch wurde zu einem Label. Mit seinem popästhetischen Verfahren des – auch mal nur assoziativen – Sampelns von philosophischen Texten, Filmzitaten und Popongs, ist er zum Schöpfer einer neuen postdramatischen Theaterform geworden: des Diskurstheaters.

Er wollte dabei nie den Eindruck eines genialischen, individuellen Textproduzenten abgeben. Seine Theaterabende sind im Kollektiv entstanden, denn für ihn war Theatermachen Teamarbeit, soziale Praxis. Zudem bedurften seine akademisch anmutenden Texte nicht der Fortsetzung durch Sprache, sondern der Mittel des Theaters. Aus der Spannung, dass theoretische Texte nicht verkörpert werden können, und dem Widerstand, den das Sprechen theoretischer Texte bei den Schauspielern (Martin Wuttke, Sophie Rois, Kathrin Angerer, Milan Peschel u.v.a.) auslöste, bezogen die Pollesch-Abende ihre Komik. Meist war es sinnlos, die ausufernden theoretischen Elaborate über Repräsentation, das Nachvollziehen einer Handlung oder die Konstitution von Figuren erleben zu wollen. Echte Dialoge gab es kaum, psychologisch motivierte Charaktere suchte man vergebens. Daher war sein Theater immer gleichzeitig überfordernd und unterhaltend für das Publikum wie auch für die Schauspieler. Auf beiden Seiten wurde viel gelacht.

Das zeugt davon, dass Pollesch stets um Augenhöhe mit dem Publikum bemüht war: Gelungene Kommunikation war für ihn, wenn die auf der Bühne behandelten Themen den Zuschauenden vertraut vorkamen, die Ansprüche und Erwartungen wenigstens scheinbar erfüllt wurden. Das war leicht. Denn eigentlich hat Pollesch nur ein einziges langes Stück geschrieben; wie er einmal sagte, schreibe er ohne Originalitätszwang und mache mit einem neuen Text einfach da weiter, wo er beim vorigen aufgehört habe. Dieses lange Theaterstück kreiste beharrlich um das Thema der Durchökonomisierung von neoliberalen Arbeits- und Lebensverhältnissen, deren Zwang sich in die Gefühle, die Geschlechterrollen und -verhältnisse einschreibt. Sein Ziel war es, das scheinbar Geläufige und Alltägliche auffällig zu machen, das Gewohnte und Unhinterfragte zu destabilisieren. So wollte er mit seinem Theater das Leben berühren. Sein letztes Stück, ein Soloabend, den er gemeinsam mit Fabian Hinrichs erarbeitete, trug den Titel „ja nichts ist ok“. Dem können wir fassungslos und traurig beipflichten. René Pollesch ist am 26. Februar überraschend verstorben. Er wurde 61 Jahre alt.

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