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Wie. katholisch ist Italien?

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Ein italienischer Geistlicher, Don Silvano Burgalassi, hat unter dem Titel „II comportamento religioso degli italiani“ eine ausführliche Studie über die religiöse Betätigung seiner Landsleute herausgebracht. Wie die römische Zeitschrift „La Civiltä Cattolica“ dazu bemerkt, ist dies die erste Studie dieser Art, die noch bedeutend intensiviert werden müßte, vor allen Dingen sollten in allen Diözesen die entsprechenden Unterlagen, Statistiken usw. geführt werden. Bis jetzt kann nur eine sehr summarische Betrachtung vorgenommen werden, für sechs Konzilsregionen fehlen alle Daten, und von drei bis vier Regionen liegen nur spärliche Informationen vor. (Die italienischen „regioni conciliari“ umfassen manchmal sogar mehrere Kirchenprovinzen unter dem Vorsitz eines Metropoliten, der im allgemeinen den Kardinalspurpur trägt. Zum Beispiel: Die Etrurische Konzilsregion besteht aus den Kirchenprovinzen Florenz, Pisa und Siena und der Erzdiözese Lucca unter dem Vorsitz des Kardinal-Erzbischofs von Florenz.)

Gesamtstaatlicher Durchschnitt

Don Burgalassi untersuchte die religiöse Praxis von 3418 Pfarreien in 1072 Gemeinden; es sind dies 14 Prozent aller italienischen Pfarreien, deren Gesamtzahl zur Zeit der Untersuchung sich auf 24.410 belief. Von den durchforschten Pfarreien liegen 2523 in Norditalien, 517 in Mittelitalien und 378 in Süditalien. Alle diese Pfarreien sind von sieben Millionen Einwohnern bevölkert, das sind 13 Prozent der Bevölkerung Italiens. Bezüglich der Auswahl der Pfarreien hat Don Burgalassi bereits Bedenken, weil er seinen Querschnitt nicht als repräsentativ ansieht. Er konnte nicht einfach jene Pfarreien und Diözesen wählen, die eben alle Charakteristika des Landes umfaßt hätten, sondern er mußte sich eben auf Diözesen beschränken, wo er die notwendigen Unterlagen vorfand.

Von seinen Zahlen schließt Don Burgalassi auf einen gesamtstaatlichen Durchschnitt mit folgendem Ergebnis: 1,5 Prozent von der Kirche getrennte Personen, 62,5 Prozent Indifferente, 36 bis 37 Prozent regelmäßige Besucher der Sonntagsmesse, unter diesen sind 6 Prozent „devoti“, in diesem Fall am besten mit treu ergebene übersetzt. Die „Civiltä Cattolica“ fügt hinzu, daß der Durchschnitt ungefähr bei 40 Prozent praktizierenden Katholiken liegen dürfte, da man ja jene, die von der Sonntagspflicht nicht betroffen werden, Kleinkinder, Kranke usw. abrechnen müsse.

Unter anderem untersuchte Don Burgalassi die religiöse Betätigung in 44 Städten Italiens, darunter sechs mit mehr als 300.000 Einwohnern, 21 mit 50.000 Einwohnern und die übrigen verschiedener Größe. Er stellt fest, daß im Zentrum . der Städte die Zahl der praktizierenden Gläubigen höher ist als in den Außenbezirken: 45 Prozent zu 24 Prozent. Dieses Verhältnis ist besonders in den Städten unter 50.000, dort ist das Verhältnis zwischen Stadtmitte zur Peripherie sogar 72 Prozent zu 25 Prozent. Auch nach Geschlechtern ergeben sich auffallende Unterschiede. Im Zentrum praktizieren 29 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen. In den Außenbezirken jedoch nur 18 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen.

Eine Untersuchung nach Diözesen und Regionen ergibt auch sehr unterschiedliche Ergebnisse. Den höchsten Anteil haben die praktizierehden Katholiken in Venetien und in Trient-Südtirol. Es folgen die Lombardei, die Marken und Apulien. Unter 40 Prozent liegen Sizilien, Toscana, Latium und Emilia. Die Diözesen Mittelitaliens haben den geringsten Prozentsatz praktizierender Katholiken. Im Süden sind nur wenig Unterlagen vorhanden, und es ergeben sich recht unterschiedliche Resultate; Kalabrien, Sizilien, Apulien und Sardinien sind günstiger gelagert als Kampanien und Basilicata.

Akuter Priestermangel

Ein guter Maßstab für die religiöse Situation eines Landes ist die Zahl der Diözesanpriester. Von 1881 bis 1966 ist die Bevölkerung Italiens von 28 Millionen auf ungefähr 52,5 Millionen gestiegen. Im selben Zeitraum ist die Zahl des Diözesanklerus von 84.834 auf 43.187 gesunken, also um beinahe 50 Prozent. Diese Zahl wird nur durch eine schwache Erhöhung des Regularklerus gemildert, der nur in bescheidenem Umfang Pfarreien betreut. Auf Grund dieser Zahlen erkennt man, daß im Jahre 1881 für je 270 Gläubige ein Priester zur Verfügung stand, dagegen heute für nur 1245 Gläubige ein Priester vorhanden ist. Don Burgalassi stellt mit Besorgnis fest, daß die Anzahl der sterbenden Priester höher ist als die Zahl der Neupriester.

34 Prozent der italienischen Bevölkerung leben heute in den Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern. Die Landpfarreien werden deshalb entvölkert, abgesehen von jenen Orten, die im Sommer von Touristen überlaufen werden. An den Randzonen der Städte entstehen daher riesige Pfarreien, deren Umfang in keinem Verhältnis steht zu den kleinen Pfarreien in den historischen Stadtkernen.

Gerade die . religiös schlecht gestellten Regionen haben die wenigsten Priester, also wird die pastorale Tätigkeit gerade dort immer schwächer werden, wo sie gerade am notwendigsten wäre. In Piemont gibt es einen Priester für 759 Einwohner und einen Seminaristen auf alle 5226 Einwohner. In der Lombardei kommt ein Priester auf 496 Einwohner und ein Seminarist auf alle 2597 Einwohner. In Venetien (einschließlich Trient- Südtirol) ein Priester für 846 Einwohner und ein Seminarist für alle 3639 Einwohner. In Ligurien ein ein Priester für 979 Einwohner und ein Seminarist für 7330 Einwohner. Für Norditalien wird die Lage also noch als erträglich angesehen. Entschieden ungünstiger ist sie in Mittel- und Süditalien. Im südlichen Latium kommt ein Priester auf 1400 Einwohner und ein Seminarist auf 10.824 Einwohner. In Sizilien ist das Verhältnis 1 zu 2189 beziehungsweise 1 zu 11.333; in Kampanien ein Priester auf 1423 Einwohner und ein Seminarist auf 9243 Einwohner.

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