Skeptische Unaufgeregtheit

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Ein Plädoyer für die Entdeckung des US-amerikanischen politischen Philosophen Michael Oakeshott, einem Konservativen mit Realismus.

In der Enzyklopädie des US-amerikanischen Konservativismus wird Michael Oakeshott als der bedeutendste politische Philosoph des 20. Jahrhunderts genannt. Und in der amerikanischen Zeitschrift National Review belegt Oakeshott beim Ranking der hundert besten Sachbücher des vergangenen Jahrhunderts den beachtlichen 12. Platz.

Dennoch ist der britische Philosoph im deutschsprachigen Raum bislang weitgehend unbekannt, was der deutsche Wissenschafter Till Kinzel nun mit seiner lesenswerten Monografie "Michael Oakeshott. Philosoph der Politik" zu ändern versucht. Michael Oakeshotts Werk droht wegen der fortdauernden kulturellen Hegemonie der Linken an den Universitäten vergessen zu werden. Nach wie vor "glänzen" Texte konservativer Denker in den Lektürelisten österreichischer Universitäten überwiegend durch Abwesenheit.

Moral der Höflichkeit

Das ist schade und bedauerlich, finden sich doch in diesen Werken fruchtbare Ansätze für die Bewältigung der großen politischen Fragen. Oakeshotts Werk zeichnet sich für Kinzel durch eine "ostentative Unaufgeregtheit aus, die zugleich mit Skepsis verbunden ist". Mit seinen konzis gestalteten Essays erreicht Oakeshott durchaus den Rang eines modernen Klassikers, an dessen Texten Studenten ihre Reflexionsfähigkeit und ihre hermeneutischen Fertigkeiten schulen können. In seinem Werk kultiviert er Thesen und Erkenntnisse fern jeder Form der heute so vielfältigen und je nach tagespolitischen Zweckmäßigkeiten kultivierten Hysterie. Oakeshott formuliert einen wohltuenden Gegenpol zum aufgeregten Alarmismus vieler Debatten und stellt sich auch explizit gegen die Substituierung der Politik durch die Moral.

Politik soll nicht moralisieren, sondern die einzige Moral, mit der sich die Politik befassen soll, ist die Moral der Höflichkeit. Im Umgang mit politischen Mitbewerbern hält er Werte und ordentliche Manieren für unentbehrlich, da nur sie die menschliche Würde angemessen repräsentieren. Diese Moral der Höflichkeit ist meilenweit vom heute von vielen NGOs gerne strapazierten Kult von inszenierter Wut und Trauer entfernt, aber auch ein dezenter Hinweis für Populisten wie H. C. Strache, sich in Sprachmäßigung zu üben. Diese Berufsbetroffenen mit ihrer moralischen Aburteilung jedweder anderen Position als der eigenen zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass von ihnen jeder vom gefragten Konformismus des Einheitsdenkens abweichende Gedanke wahlweise als reaktionär, ewiggestrig, konservativ oder neoliberal abqualifiziert wird. Oakeshotts unzeitgemäßem Plädoyer für Manieren folgt ein ebenso unkonventionelles Verständnis von Konservatismus. Für ihn zeichnet sich Konservatismus nicht durch eine nostalgische Beziehung zur Vergangenheit aus. Das Alte wird nicht deshalb geschätzt, weil es alt ist, sondern weil es uns vertraut ist. Konservativ-Sein ist eine auf die Gegenwart bezogene Haltung, die dasjenige nutzt und genießt, das der Gesellschaft zur Verfügung steht, statt nach etwas anderem, vermeintlich Besserem zu streben.

Diese antiutopische Geisteshaltung bringt Oakeshott mit einer Goethe-Paraphrase prägnant auf den Punkt: "Nicht verweile doch, du bist so schön, sondern bleib bei mir, weil ich mich dir verbunden fühle." Denn der Gestus des reinen Bewahrens ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu wenig, da sich unsere Epoche ja gerade durch das restlose Verschwinden aller Traditionsbestände auszeichnet. Wenn bewahren also heute nur mehr bedeuten kann, empörende Zustände zu bewahren, dann ist ein solch reaktives Konservatismusverständnis unzulänglich. Oakeshott, der eine postmoderne Welt der Barbarei und des Nihilismus fürchtete, wollte mit seinem Werk den menschlichen Geist "vor seiner Zerstörung durch Angst bewahren".

Hier sieht er auch die Selbstverpflichtung des politischen Philosophen: Klarheit über die wirkliche Wirklichkeit zu gewinnen, ohne das Sprachrohr einer Macht zu sein und sich als solches missbrauchen zu lassen. Wie schon Leo Strauss vor ihm, bemühte sich auch Oakeshott im Zeitalter des Rationalismus die antike Kunstform der Politischen Philosophie wiederzubeleben und ihre zeitlosen Wahrheiten der heutigen Studentengeneration zu vermitteln, da ihre zentralen Fragen alle auf eine Frage zurückgehen, die sich dem Menschen als Menschen stellt: auf die Frage nach dem Richtigen (Heinrich Meier).

Die Grenzen der Politik

Oakeshott steht dabei für eine Politische Philosophie, die politische Bildung im eigentlichen Sinne gerade durch ihre Unbedingtheit und Distanziertheit vom politischen Alltagsgeschäft zu definieren versucht. Der politisch Gebildete sollte Bedeutsameres als bloße politische Meinungen beanspruchen, die sich auf irgendwelche Tagesfragen beziehen. Politische Bildung sollte also mehr als die Vermittlung von Faktenwissen wollen und versuchen, menschliches Verhalten in der Politik ganzheitlich zu verstehen, zu analysieren und zu reflektieren. Abseits des hektischen politischen Tagesgeschäftes sind somit politische Akademien auch Orte, wo über die Essenz, die Grenzen und die Ziele der Politik nachgedacht werden kann. Denn die Hauptaufgabe der Regierungen besteht für Oakeshott nicht in der Sorge um die Seele der Menschen, sondern darin, das Gespräch am Laufen zu halten.

Dies erzieht den Einzelnen zu Bescheidenheit. Denn politische Philosophie weiß um die Endlichkeit des Menschen und um seine Fehlbarkeit. All jenen politischen Heilsversprechern und Sozialingenieuren, die dem Bürger paradiesischen Überfluss qua Gießkannenpolitik versprechen, sollte daher nach Oakeshott unbedingt misstraut werden: "Denn wer den Himmel auf Erden erschaffen will, dehnt lediglich die Grenzen der Hölle aus." Die sofortige Befriedigung aller Bedürfnisse von der Politik zu fordern, hieße von der Politik Unmögliches zu verlangen. Denn die Politik mag zwar wertvolle Dinge wie Sozialversicherung, Kündigungsschutz etc. hervorbringen, "aber niemals die wertvollsten Dinge im Gemeinschaftsleben einer Gemeinschaft".

Realismus, Bescheidenheit

Das höchste, was Realpolitik für Oakeshott erreichen kann, ist die politische Freiheit, also die Verfügungsgewalt des Einzelnen über seine persönlichen Fähigkeiten und seine Arbeit, zu gewährleisten. Dieser realistische und bescheidene Anspruch an Politik ist eine wohltuende Abwechslung zu "den A-priori-Deduktionen auf das gesellschaftliche Leben, wie es für die modernen Ideologien der politischen Großplanung" von NGOs mit ihren Reißbrettentwürfen für eine bessere Welt charakteristisch ist. Oakeshotts Politik der Skepsis hebt sich erfrischend vom Chor der "Welterklärer" und "Untergangsapologeten" ab. Mit seiner nur 112 Seiten dicken Studie gelingt Kinzel eine konzentrierte Einführung in das Werk dieses englischen Klassikers, der noch auf seine Entdeckung in deutschen Landen wartet.

Der Autor arbeitet an der Politischen Akademie der ÖVP und unterrichtet an der Universität Wien.

Buchtipp:

Michael Oakeshott

Philosoph der Politik

Von Till Kinzel

Edition Antaios, Schnellrodas 2007

112 Seiten, brosch., € 12,40

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