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Wir alle könnten Versuchskaninchen sein

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Lang geheimgehalten, jetzt veröffentlicht: Der Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates kann einen das Fürchten lehren.

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Lang geheimgehalten, jetzt veröffentlicht: Der Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates kann einen das Fürchten lehren.

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Geht es nach dem Entwurf der „Bioethik-Konvention” des Europarates, so könnte so manches Stück aus dem Gruselkabinett moderner Medizin und Biotechnik erlaubt sein. Behinderte, alte Menschen, aber auch Kinder könnten ohne deren Einwilligung für medizinische Experimente mißbraucht und es könnte ihnen „regenerierbares Gewebe” entnommen werden.

Walter Schwimmer, einer von sechs österreichischen Abgeordneten der parlamentarischen Versammlung des Europarates, konnte die Katastrophe vorerst aufhalten: Das Parlament des Europarates segnete Mitte Oktober die umstrittene Bioethik-Konvention noch nicht ab und stellte sie zur Überarbeitung zurück.

Als Grundprinzip für Eingriffe in den Körper von Menschen schreibt die Bioethik-Konvention fest: „Für jede Handlung im Bereich der Gesundheit ist die freie

Einwilligung der davon betroffenen Person nach entsprechender Aufklärung erforderlich.” Wunderschön, doch dazu muß die von medizinischen Eingriffen betroffene Person erst in der Lage sein, selbst zu entscheiden. Geistig Behinderten und psychisch Kranken beispielsweise, aber auch Kindern wird solche Entscheidungsfähigkeit abgesprochen. Für diese Personen sieht die Bioethik-Konvention zahlreiche Ausnahmen vor.

Eingriffe in „nichtgeschäftsfähige Personen”(f) sollen auch dann erlaubt werden können, wenn Eingriffe nicht dem unmittelbaren Nutzen der betroffenen Personen dienen, aber sonst ein „beträchtlicher Nutzen” abgeleitet werden kann. Als derart beträchtlichen Nutzen nennt die Bioethik-Konvention zwei Fälle:

■ „Im Fall der medizinischen Forschung, wenn für die betroffene Person das Bisiko unerheblich und die Belastung geringfügig ist, soweit eine gleichermaßen wirksame Forschung an voll geschäftsfähigen Personen nicht vorgenommen werden kann und es eine gleichermaßen wirksame alternative Methode zum Forschungsvorhaben nicht gibt;

■ Im Falle der Entnahme von regenerierbaren Geweben zum Zweck der Transplantation zwischen Personen, die sich persönlich/verwandtschaftlich nahestehen, wenn es einen voll geschäftsfähigen Spender oder eine gleichermaßen wirksame alternative Methode nicht gibt.”

Bloß, wer maßt sich an, das Bisiko und die Belastung von Forschungsexperimenten im voraus anzugeben, wenn nicht die Forscher selbst, die Experimente durchführen wollen? Der Bedarf an Transplantationen läßt sich, da sowieso immer mehr „Nachfrage” als „Angebot” an transplantationsfähigem „Material” besteht, nur allzuoft anführen. Psychisch Kranke und geistig Behinderte als Ersatzteilbank für reiche Verwandte?

Zum unfreiwilligen Gewebespender oder Versuchskaninchen kann fast jeder einmal werden. Zu dem im englischen Originaltext verwendeten Begriff „incapacitated person” zählt das britische Becht Menschen, die „durch Geisteskrankheit. Geistesschwäche, körperliche Krankheit oder Behinderung, hohes Alter, Bauschgiftsucht, chronische Trunksucht oder aus einem anderen Grund (mit Ausnahme Minderjähriger) nicht ausreichend imstande sind, ihre Situation zu beurteilen und verantwortliche Entscheidungen zu treffen und mitzuteilen.”

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