Auch eine Knallcharge darf Angst haben

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Es bedarf keiner ausgeklügelten Bühne, um das Drama seelischer Verletzungen aufzuführen. Die Aufmerksamkeit gehört den Darstellern, in Dusˇan David Parˇízeks Festspiel-Inszenierung von "Kommt ein Pferd in die Bar".

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Es bedarf keiner ausgeklügelten Bühne, um das Drama seelischer Verletzungen aufzuführen. Die Aufmerksamkeit gehört den Darstellern, in Dusˇan David Parˇízeks Festspiel-Inszenierung von "Kommt ein Pferd in die Bar".

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Was ist der Unterschied zwischen einem Comedian und einem Kabarettisten? Dafür gibt es eine einfache Faustregel. Fragt man einen Comedian, warum er eigentlich dieser Art von Arbeit nachgehe, sagt er: "Wegen dem Geld." Auf die gleiche Frage antwortet der Kabarettist: "Wegen des Geldes." Dov Grinstein, der im Mittelpunkt von "Kommt ein Pferd in die Bar" steht, gehört der ersten Kategorie an. Man tut gut daran, die Erwartungen an solch einen Alleinunterhalter gering zu halten.

Der Roman von David Grossman, auf dem die Inszenierung in der Bearbeitung des Regisseurs Dusˇan David Parˇízek für die Salzburger Festspiele basiert, eignet sich ideal für eine Theaterversion. Eine Knallcharge gestaltet einen Abend, alles spielt sich in einem Innenraum ab, Szenenwechsel sind nicht notwendig. Der eigentliche Innenraum beschränkt sich aber nicht auf den Theatersaal, der bespielt werden muss, sondern das Geschehen verlegt sich zunehmend mehr in das verkorkste Seelenleben von Dov Grinstein, einem wahren Unglücksritter.

Das verlangt einen wandlungsfähigen Schauspieler, der einen Weg vom aggressiven Provokateur des Publikums zur schonungslosen Selbstbezichtigung und zum Chronisten seines tragischen Lebens geht. Der Abend, den er zunächst vorhat, möglichst unbeschadet zu überstehen, gerät ihm aus dem Ruder. Er fängt an als Standup-Comedian und endet als ein Häuflein Elend, der sein Leiden öffentlich macht. Aus dem Spötter, dessen Zielscheibe das Publikum ist und der deshalb für die Souveränität eines Mannes steht, der die Regie über den Verlauf des Abends fest in der Hand hält, schält sich ein durch Gesellschaft und Politik Verletzter heraus.

Zunächst leistet er das, was von ihm verlangt wird. Das macht ihn zu einer unangenehmen Person. Seine Witze sind schal, und wie er das Publikum herausfordert, weist ihn als einen schäbigen Charakter aus. Gern treibt er Unfug auf Kosten von anderen, er verkauft sich billig und weit unter seinem eigenen Niveau. Er braucht Geld, und dafür macht er sich zum Affen.

Der Inszenierung auf den Leim gegangen

Das könnte ewig so weitergehen. Er steht auf der Bühne und zieht ein Programm voller Geschmacklosigkeiten durch, so lange, bis er auch den letzten Gast vertrieben hat. Wenn aber in Salzburg schon bald die ersten Leute tatsächlich enttäuscht oder angewidert den Saal verlassen, dann sind sie der Inszenierung auf den Leim gegangen. Sie nehmen den fadenscheinigen Auftritt eines Dilettanten tatsächlich für einen solchen und übersehen, dass der großartige Samuel Finzi es schafft, gekonnt in die Niederungen niveaulosen Entertainments abzusteigen. Auch darum, einen Flachwurzler anzuprangern, geht es nicht, das wäre gar billig. Wesentlich aufregender aber gestaltet sich das Unterfangen herauszubekommen, wie solch ein Kerl eigentlich tickt. Und dazu bedarf es einer Figur, die den geplanten Abend kippen lässt. Pitz, von Mavie Hörbiger grandios gespielt, weist Dov in seine Schranken. So verläuft die Vorstellung, eigentlich eine Sache der reinen Routine, nicht wie vorgesehen. Die Frau ist in nächster Nähe von Dov aufgewachsen, erinnert sich an Szenen seiner Kindheit, erzählt Episoden aus dem Leben eines Außenseiters. Mit dem Spaß ist es jetzt vorbei. Eine Ernsthaftigkeit zieht in Dov ein, die das weitere Programm ins Tragische stürzen lässt.

Jetzt ist Dov Grinstein selbst der Held seiner eigenen Veranstaltung. Parˇízek macht aus dem Roman ein Drama der vorsichtigen Verschiebungen. Stehen am Anfang Zorn und Häme im Vordergrund als Methoden, seinem Publikum einen Abend zu vergällen, bleibt am Ende ein verstörtes, sensibles Opfer der Umstände zurück. Finzis Meisterleistung besteht darin, in einem ausgedehnten Solo am Schluss den Schmerzpunkt in Dovs eigenem Leben zur Sprache zu bringen. Das will etwas heißen für einen, der es gewöhnt ist, Leid und Not wegzukasperln, als blieben sie ohne Bedeutung. Die Selbstoffenbarung kommt über ihn gleichermaßen wie eine Strafe und eine Befreiung.

Dov verbohrt sich in seine Jugend, als er in ein Sommerlager geschickt wird, was sowieso schon schlimm ist für einen Ungeliebten, der gewohnheitsmäßig Prügel einsteckt. Seinen Aufenthalt muss er abbrechen, als er wegen eines Todesfalles nach Hause geschickt wird. Man verabsäumt es ihm zu sagen, ob Vater oder Mutter gestorben sind, und so wird die Heimkehr zu einer quälenden Reise der Ungewissheit, in deren Verlauf er sich wechselweise Vater oder Mutter als Tote vorstellt. Das erweckt Schuldgefühle in ihm. Wie nebenbei kommt der Alltag in Israel, wo Kinder schon funktionstüchtig gemacht werden, in den Ruch des Unheimlichen.

Es bedarf keiner ausgeklügelten Bühne, um das Drama seelischer Verletzungen aufzuführen. Eine Holzwand, die einmal mit großem Getöse umstürzt, am Rand ein Klavier und ein Bass als Ingredienzien einer schmuddeligen Barmusik, mit der die Zuseher begrüßt werden. Dazu eine Kamera, die die Gesichter von Dov und Pitz unheilvoll vergrößert an die Wand projiziert, mehr ist nicht vonnöten. Die Aufmerksamkeit gehört den Darstellern, das genügt.

Kommt ein Pferd in die Bar Salzburger Festspiele, republic, 18., 21., 23. Aug.

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