Thema: Missbrauchsaffären
In der „Politik“ des Aristoteles heißt es: „Es ist also das Verhältnis des Männlichen zum Weiblichen von Natur so, dass das eine besser, das andere geringer ist, und das eine regiert und das andere regiert wird … Es ist also klar, dass es von Natur Freie und Sklaven gibt und dass das Dienen für Sklaven zuträglich und gerecht ist.“
Ich habe neun Jahre lang ein humanistisches Gymnasium besucht, danach sieben Jahre lang verschiedene Universitäten. Gelernt habe ich, dass im antiken Griechenland die „Wiege unserer westlichen Kultur“ stand, dass wir unsere theoretischen Begriffe, unser Demokratieverständnis und vieles mehr den alten Griechen verdanken und dass man die Bibel Jahrhunderte lang mit den Augen des Aristoteles gelesen hat. Aber die beiden zitierten Sätze hat mir nie ein Lehrer vorgelegt. Ich musste sie selber suchen, lange nach dem Schulabschluss.
Was mich wundert, ist, dass es heute Leute gibt, die sich über Verletzungen der Menschenwürde in der Kirche wundern. Seit Jahrhunderten stützen die Kirchen eben dieses Weltbild, das zwischen höheren, geistigen, männlichen und niederen, körperlichen, weiblichen Sphären unterscheidet. Gott ist in diesem Weltbild immer „oben“ und absolut kontrollberechtigt. Und Priester verkörpern das höhere männlich-geistige Prinzip hier auf Erden. Wieso erstaunt es nun irgend jemanden, dass Menschen, die ihr Leben im Reich der Fiktion zubringen, übergriffig werden? Da wir in Wirklichkeit doch alle Geist und Körper, frei und bedürftig zugleich sind?
An dem Tag, an dem endlich ein kirchlicher Amtsträger, am besten der Papst selbst, sagt, es sei an der Zeit, die zweigeteilte Weltordnung als solche, samt all ihren unzähligen Auswirkungen, aus den Angeln zu heben, werde ich eine Party veranstalten, zu der auch Priester eingeladen sind.
* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz
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