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ERINNERUNGEN AN LISSA

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Wenn ich in Graz vor dem Denkmal Wilhelms von Tegetthoff stehe, berührt mich angesichts dieser auf hohem Postament thronenden, kühnen Seemannsgestalt jene seltsame Ergriffenheit, wie sie zuweilen Menschen bei der Begegnung mit Dingen befällt, denen sie ein gemeinsames Geheimnis verbindet. Eine Familiengeschichte, wie sie nur aus der Form des facettenreichen österreichischen Völkerstaates von einst gegossen werden konnte, ist von der dieses stolzen bronzenen Monuments und des Siegers von Lissa, den es darstellt, nicht zu trennen. „Dem Viceadmiral Wilhelm von Tegethoff — Kaiser Franz Joseph I. — Tapfer kämpfend bei Helgoland — Glorreich siegend bei Lissa — erwarb er unsterblichen Ruhm sich und Österreichs Seemacht“ lautet die Inschrift. Dieses Denkmal wurde am 20. Juli 1877 in Pola enthüllt und 1935 nach Graz gebracht, wo der aus Westfalen stammende, in Marburg (Maribor) gebürtige Vizeadmiral beigesetzt ist.

Lissa, dieses weltentrückte, von ungeheuren Winden der Geschichte geschüttelte adriatische Eiland südwestlich von Spalato (Split), ist die Heimatinsel meiner Mutter und im eigentlichen Sinne auch die meine. Unsere große österreichische Heimat lag ja einmal zwischen Feldkirch und Klausenburg, zwischen Krakau und Cattaro. Mein Großvater, ein kaisertreuer kroatischer Lissaner, der 1892 an der Weltreise Franz Ferdinands auf der „Kaiserin Elisabeth“ teilnahm, kämpfte schon als junger Marineur 1866 an der Seite Tegetthoffs. Meine Mutter spielte als Kind an den Stufen jenes Denkmals in Pola, sie saß in Graz in ihren alten Tagen vor demselben ihr so vertrauten Standbild, das ihr wie eine holde Jugenderinnerung hierher gefolgt war, und sie ruht seit 1963 unweit der Grabstätte Tegetthoffs auf dem Grazer Leonhardfriedhof.

Ich wüßte nicht, daß ein Reisender die Insel Lissa je erwähnte, dieses abgeschiedene, gebirgige Eiland inmitten der Adria, wie geschaffen, Menschen zu beglücken, die die Genügsamkeit lieben. Wohl aber kennt jeder traditionsbewußte Österreicher die Sternstunde der österreichischen Marine am 20. Juli 1866, da Tegetthoff, „Auf allerhöchsten Befehl nach eigenem Ermessen“ handelnd, die österreichische Flotte in drei einander dicht folgenden Keilen Kurs auf den weit überlegenen italienischen Gegner nehmen ließ. „Die Schlacht wurde eine der größten Waffentaten der Geschichte. In der kühnen Taktik, den Gegner anzurennen und ihn mit dem Sporn des Vorderstevens durch Rammstoß zu vernichten, lag der Sieg“ (Friedrich Wallisch). Dieser reihte sich glorreich an die Seeschlacht bei Lissa von 1811, als der englische Kommodore William Hoste, ein Nelson-Schüler, die britischen Fregatten gegen die französisch-venetianischen Kriegsschiffe mit der Parole „Denkt an Nelson!“ zum Sieg führte.

Ich erinnere mich wohl kaum meines Großvaters; aber meine Großmutter, die ihn 18 Jahre überlebte, wußte zu erzählen, daß sie an jenem 20. Juli 1866 als kleines Mädchen vom Balkon ihres hochgelegenen Elternhauses in der Italien zugekehrten Westbucht der Insel die Schlacht im Kanal von Lissa hatte beobachten können. Tage vorher war Lissa durch Landungsversuche der Italiener, die ein starkes Artilleriefeuer auslösten, sehr bedroht gewesen. Ihrer Schlüsselposition gemäß hatte die Insel damals 1800 Mann Besatzung erhalten, was angesichts der Tatsache, daß Österreich gleichzeitig einen Zweifrontenkrieg führte, nicht gering war. Der Flottenchef hielt die Landungsversuche zunächst für einen Scheinangriff. Aber am Morgen des 20. Juli nahm er, jetzt in der Uberzeugung, daß es sich nicht um ein bloßes Manöver handelt, kraft der ihm vom Kaiser übertragenen Generalvollmacht und ganz auf eigene Verantwortung Kurs auf Lissa. Dichter Nebel lag nach einem nächtlichen Regensturm über der Adria, doch wie durch ein Wunder hob sich dieser Vorhang in den Vormittagsstunden. Die Sicht war frei.

Eine kroatische Dienerin nahm meine Großmutter auf ihre Arme und wies hinaus auf das furchtbare Schauspiel: „Gledajte gospodarüce, to su nasi!“ („Schau, Herrin, das sind die Unsrigen!“) Aber was hätte den venetianischen Kreisen von Lissa, zu denen unter anderen die Familien Garibaldi, Martinis, Mariani, Giaconi zählten, das Wort „unsrig“ schon sagen können, da doch venetianische Matrosen paradoxerweise an der Seite Tegetthoffs kämpften! Noch als Witwe eines kroatischen Tegetthoff-Mitkämpfers sang meine Großmutter, und mit ihr meine Mutter, jenes Heldenlied auf den Tag von Lissa, das nicht den österreichischen, sondern den italienischen Kämpfern galt: „Re d'Italia fior del mondo, sotto Lissa andat' fondo...“ Diese Worte galten dem von Tegetthoff in den Grund gebohrten Panzerschiff „Re d'Italia“, das innerhalb von wenigen Minuten, mit dem verwundeten Conte Fäa di Bruno auf der Kommandobrücke, versank.

Die verworrene politische und militärische Situation jener Zeit brachte folgerichtig auch in die Familien eine Völker-und Sprachenverwirrung. Ich zum Beispiel mußte als Kind drei Sprachen erlernen, um mich mit meinen Eltern und Verwandten verständigen zu können: Italienisch, Kroatisch und Deutsch. In seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ schreibt Egon Friedeil über die österreichische Situation von 1866 folgendes: „...Die Schlacht wurde mit Hilfe zahlreicher venetianischer Matrosen gewonnen, die damals (da Österreich am 4. Juli, einen Tag nach Königgrätz, Venedig offiziell an Napoleon abgetreten hatte) bereits italienische Untertanen waren... ein herrlicher Seesieg, erfochten mit den Soldaten des Feindes, der bereits besitzt, worum von beiden Seiten gekämpft wird ...“

Positiver beantwortet Friedrich Wallisch in seinem Buch „Wilhelm von Tegetthoff“ (Herold-Verlag, Wien) die Frage nach dem Sinn dieser Schlacht......Der Sieg von Lissa hat

Triest, die istrianische und dalmatinische Küste für Österreich gerettet...“ Eine zweite, ebenso festbegründete Version: „Lissa und andere dalmatinische Inseln als Faustpfand in italienischem Besitz wären beim Friedensschluß gegen Südtirol eingetauscht worden.“ Auch die Entstehung des jugoslawischen Staates mit einem Anteil an der Küste (1918) ist dem österreichischen Sieg von 1866 zu verdanken. Die Italiener hatten zwar damals die Insel okupiert, mußten sie aber 1920 wieder räumen. Der Abzug der Italiener und die Übergabe an die Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Regierung) gehören zu den markantesten Erinnerungen meiner Kinderzeit auf Lissa.

Im zweiten Weltkrieg (1941) stand Lissa wieder unter italienischer Oberhoheit. Viktor Emanuel II. war damals auch Kaiser von Äthiopien. 1944 kamen die Engländer und Oberst Churchill, ein Neffe Winston Churchills, wurde Stadtkommandant von Lissa. Für die Deutschen war die Insel uneinnehmbar. Von ihnen verfolgt, rettete sich Marschall Tito in jener bewegten Zeit aus den Bergen des Festlandes hierher und schlug in einer Felsengrotte auf Lissa sein Hauptquartier auf. Dort verblieb er bis zur Stunde seines Aufbruches zur Befreiung Jugoslawiens von den Deutschen. Es war der 26. Juli 1944. Seither weht über Lissa die südslawische Trikolore mit Sichel und Hammer.

Konnte ich ahnen, daß es ein besonderer Abschied war, als ich 1940 unmittelbar nach dem Weinlesefest in der Lissaner Campagna die Insel auf dem kleinen, weißen Dampfer im Morgendämmern verließ! Noch haftete an mir der Duft von Myrte und Rosmarin, der Geruch von Wein und alten Fässern, das Geräusch trippelnder Ziegen, verliebtes Flöten der Zikaden und das Jauchzen der Kollo tanzenden Jugend. Ein Lebensabschnitt, Zeiten uneingeschränkten mühelosen Glückes waren für mich zu Ende gegangen. Fände ich heute noch die Wasserträgerinnen, klassisch in Gang und Haltung; die schwarzen Klageweiber, wie ich sie noch bei Leichenzügen sah; die Serenadensänger und Dudelsackpfeifer; den die Obrigkeit repräsentierenden Ausrufer bei Gefahren, wie dem Herannahen von Haifischen; die heimlichen Liebespaare, die an der dunklen Friedhofmauer unter Zypressen Schwüre austauschten, und alle die Capulets und Montagues, die hier wie überall im Süden Romeo und Julia verfolgten? Oder muß auch diese Enklave klassischer Einfachheit, welche sich aus der Zeit der Gründung durch die Griechen erhalten zu haben scheint, dem Tourismus, der Zivilisation zum Opfer fallen? Dann allerdings: Leb wohl, mein liebes, schönes, altes Lissa.

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