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Die deutsche Affäre

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Die Aktion, die in der Nacht vom Freitag, 26., auf Samstag, 27. Oktober, auf dem Höhepunkt der Kubakrise, gegen das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ losbrach und zur Verhaftung des Herausgebers Rudolf A u g s t e i n, des Verlegers Becker und zweier leitender Redakteure führte, hat in Westdeutschland zu einem Sturm der Erregung geführt, in dem es eine Zeitlang sogar zweifelhaft war, ob er nicht das Ende der Bonner Regierungskoalition bedeuten würde. Gegen alle bestehenden Bestimmungen waren die Redakteure in der Nacht verhaftet worden. Alle Räume der Redaktion wurden besetzt und sind zum größten Teil noch 14 Tage nach Ablauf der Aktion nicht freigegeben, so daß die Zeitschrift ihr Erscheinen hätte einstellen müssen, wenn ihr nicht andere Redaktionen Räume, Telephone und Archive zur Verfügung gestellt hätten. Die eben fertiggestellte Nummer wurde gegen das Pressegesetz einer Vorzensur unterzogen. Der in Malaga im Urlaub befindliche Redakteur Ahlers wurde samt seiner völlig unbeteiligten Frau von der spanischen Polizei verhaftet, obwohl für politische Delikte zwischen Spanien und Deutschland kein Rechtshilfevertrag besteht. Die für eine solche Aktion zuständigen Herren, Bundesjustizminister Stamm-berger und der nordrhein-westfälische Inenminister Weyer, wurden nicht informiert und erfuhren das Vorgehen aus der Zeitung. Anlaß dieses ganzen Vorgehens war der von der Bundesanwaltschaft erhobene Verdacht auf Landesverrat und Geheimnisverrat, der sich auf einen, am 8. Oktober im „Spiegel“ erschienenen Artikel bezog.

Der englische Journalist Sebastian Haffner, der wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber der vom „Spiegel“ betriebenen Art des Journalismus bekannt ist, faßte eine Woche nach der Aktion seinen Eindruck in die folgenden Worte: „Fest steht, daß eine offensichtlich von langer Hand vorbereitete, an drei Orten synchron einsetzende Nacht- und Nebelaktion gegen ein wichtiges Oppositionsorgan stattgefunden hat, wobei in mindestens einem Fall (Ahlers) Freiheitsberaubung im Amt, begangen worden ist, ein schweres, mit Zuchthaus bedrohtes Verbrechen. Fest steht, daß diese Aktion hinter dem Rücken und unter absichtlicher Ausschaltung der verfassungsmäßig verantwortlichen Minister stattgefunden hat — ein Vorgang, der an Geheimbündelei und Hochverrat grenzt. Fest steht, daß aus einer Durchsuchung der Spiegel-Redaktion eine Besetzung gemacht worden ist und daß diese Besetzung heute noch, nach zwölf Tagen, weitgehend andauert — ein klarer Anschlag auf die Presse-und Publikationsfreiheit, der sich zu einer Ermittlungsmaßnahme so verhält, wie die versuchte Tötung eines Patienten zu einer ärztlichen Untersuchung.“

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