Profiskier - © Foto: iStock/amriphoto

Sonniges Skivergnügen mit Ablaufdatum?

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Was in Österreich vor mehr als 40 Jahren begann, ist aus den Alpen nicht mehr wegzudenken: Schneekanonen sind für den Skitourismus immer wichtiger geworden. Aber mit fortschreitendem Klimawandel rücken die Schattenseiten des Kunstschnees in den Vordergrund.

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Was in Österreich vor mehr als 40 Jahren begann, ist aus den Alpen nicht mehr wegzudenken: Schneekanonen sind für den Skitourismus immer wichtiger geworden. Aber mit fortschreitendem Klimawandel rücken die Schattenseiten des Kunstschnees in den Vordergrund.

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Die Alpen zählen zu den sensibelsten Ökosystemen der Erde. Gerade hier hinterlässt der Klimawandel deutliche Spuren: Nicht nur die Gletscher und der Permafrost schmelzen; auch Wintersportgebiete unter 1500 Meter sind in den letzten Jahrzehnten immer weniger mit Schnee gesegnet. Sollte der Verlauf der Treibhausgasemissionen über die nächsten 20 Jahre weitgehend ungebremst sein, werden Skifahren und Snowboarden bis zu einer mittleren Höhe nur noch spärlich möglich sein. Bis zum Jahr 2050 könnte die Schneesicherheit aufgrund der globalen Erwärmung stark zurückgehen -von derzeit 90 Prozent der alpenländischen Skigebiete auf nur noch knapp die Hälfte. Und an den Anblick weißer Pistenbahnen, umrahmt von grünen Almwiesen und braun-matschigem Gelände, hat man sich schon jetzt zu gewöhnen.

"Kunstschnee ist heute das einzige Mittel, das die Skiindustrie in Österreich noch am Laufen hält", sagt der Ökologe Christian Newesely von der Universität Innsbruck. Im harten Wettbewerb des Wintertourismus hat der Kunstschnee an Bedeutung gewonnen: Kam dieser anfänglich nur zur Pistenkorrektur zum Einsatz, werden heute ganze Skigebiete flächendeckend beschneit, vom Tal bis in die alpinen Hochlagen. Laut Schätzungen wird derzeit im gesamten Alpenraum eine Fläche beschneit, die etwa der Ausdehnung des Bodensees entspricht.

"Ein zweischneidiges Schwert"

Der Kunstschnee sei "ein total zweischneidiges Schwert", wie Newesely betont. Für die Skifahrer ist die Abfahrt auf Kunstschnee insofern sicherer, da apere Stellen und herausragende Steine nicht mehr vorkommen; andererseits führen Stürze oft zu schwereren Verletzungen (s. Kasten). Auch in ökologischer Hinsicht bedarf es einer differenzierten Betrachtung: Bei geringer Naturschneehöhe etwa schützt die Kunstschneedecke den Boden vor den Schäden durch Skikanten und Pistenpräparierung. "Wenn zu wenig Schnee da ist, greifen die Ketten der Schneefahrgeräte bis in den Erdboden hinein", erläutert der Tiroler Ökologe: "Der Boden sieht dann aus, wie wenn man ein Netz von einem Rollbraten abgezogen hätte: aufgeschnitten in Streifen, in die das Schmelzwasser gut eindringen kann." Das bedeutet ein erhöhtes Erosionsrisiko -bleibt aber oft unbemerkt, da es dann auftritt, wenn die Skifahrer nicht mehr und die Wanderer noch nicht unterwegs sind.

Aber dieser Schutz vor mechanischen Schäden wird teuer erkauft, denn der Kunstschnee führt zu einem ganzen Rattenschwanz an ökologischen Folgekosten. Der stärkste Einfluss auf das Ökosystem Skipiste geht von der starken Verdichtung der Schneedecke aus: In den hart gepressten Kunstschneeflächen fehlt die Luft, den die darunter liegenden Böden benötigen. Die Wärmeisolation der Schneedecke nimmt ab, und der Schnee verliert einen Großteil seiner Frostschutzfunktion. Massive Eisschichten können den Luftaustausch zwischen Boden und Atmosphäre verhindern. Viele Pflanzen ersticken, so Newesely, daher könne es an den Hängen vermehrt zu Bodenerosion und Murenabgängen kommen.

Hoher Wasserverbrauch

Zudem bestätigen Langzeitstudien, dass durch das Wasser des Kunstschnees standortfremde, düngerartige Partikel in die Erde eingebracht werden, was zu einer Veränderung der Bodenchemie führt. Die Folge: Die ursprünglichen Pflanzen des Magerrasens - im Sommer blumenreiche Almwiesen - werden allmählich von düngerangepassten Pflanzen verdrängt. "Dadurch wird die Artenvielfalt und damit auch der Erosionsschutz eingeschränkt", erläutert der Innsbrucker Forscher. "Denn in den bodennahen Schichten herrscht normalerweise großer Konkurrenzdruck. Deshalb versuchen manche Pflanzen, ihr Wurzelsystem nach unten auszubreiten, um an Ressourcen zu kommen, die andere nicht haben. Diese unterschiedlichen Wurzelhorizonte halten den Boden sehr gut zusammen."

Ein weiteres Problem ist der hohe Energie- und Wasserverbrauch des künstlichen Beschneiens. Schneekanonen benötigen zum Betrieb eine elektrische Heizung, damit sie nicht einfrieren; zugleich muss das Wasser für den Kunstschnee oft aufwändig gekühlt werden. "Der Stromverbrauch für die Beschneiungsanlagen in ganz Österreich entspricht ziemlich genau der Menge, die das Wasserkraftwerk in Wien-Freudenau über die drei Wintermonate produziert", bemerkt Newesely.

Das Wasser für den Kunstschnee wird teils aus Bächen entnommen, die im Winter ohnehin spärlich fließen. Zusammen mit dem hohen Wasserverbrauch der Wintertouristen kann dies zu echten Engpässen in den Skigebieten führen. "Heute versucht man durch große Speicherseen im Hochgebirge die Wasserversorgung der Schneekanonen sicherzustellen", sagt der deutsche Alpenforscher Werner Bätzing. Speicherseen aber seien Fremdkörper in der Landschaft, die eine regelmäßige Wartung benötigen. Falls die betreibende Seilbahngesellschaft in Konkurs geht, müsste man die Seen zurückbauen, damit sie nicht zur ökologischen Zeitbombe werden, wie Bätzing anmerkt: "Für einen solchen Fall müssten die Seilbahngesellschaften eigentlich große Geldbeträge zurücklegen. Das passiert aber nicht, sodass gesetzliche Auflagen einzufordern sind."

"Explodierende Kosten"

Dass die direkten ökologischen Konsequenzen des Skitourismus insgesamt noch viel geringer zu veranschlagen sind als die indirekten Folgen wie massive Verstädterung sowie starker PKW- und Güterverkehr, ist eine der Thesen in Bätzings Standardwerk "Die Alpen", das 2015 in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen ist. Zudem hat der emeritierte Professor für Kulturgeographie der Universität Erlangen-Nürnberg letztes Jahr eine Streitschrift publiziert, wonach die Alpen als "dezentraler Lebensund Wirtschaftsraum" zu gestalten seien ("Zwischen Wildnis und Freizeitpark"). Wie könnte dann der Wintertourismus aussehen?

"Skifahren wird nur noch an wenigen Orten stattfinden, und es wird so teuer sein, dass dafür ohnehin nur eine kleine Zielgruppe in Betracht kommt", glaubt Bätzing. Im Hinblick auf die kurzen Wintertage plädiert er für die Kombination von Winterwanderungen mit einem abendlichen Wellness-Programm: "Das könnte ein wichtiges Kriterium für einen neuen Wintertourismus sein, der nicht auf große technische Infrastrukturen in der Landschaft angewiesen ist." All das, so der deutsche Forscher, in Verbindung mit authentischen Kulturangeboten, wo die alpenländischen Traditionen eine große Rolle spielen. Der Ökologe Newesely sieht künftig vor allem die "explodierenden Kosten" für den Kunstschnee: "Wir müssen uns überlegen, ob manche Gebiete weiter für den Skisport nutzbar sein sollen oder ob man über den Schatten springt und sagt: Sonnige Talabfahrten werden dann halt nicht mehr möglich sein."

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