Vietnams Weg stimmt

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Kommunistische Herrschaft, kapitalistische Wirtschaft, und asiatischer Charme.

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Kommunistische Herrschaft, kapitalistische Wirtschaft, und asiatischer Charme.

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Der amerikanische Luftwaffenpilot Douglas Peterson, der über 60 Bombenangriffe auf Nordvietnam flog, ehe er 1966 abgeschossen wurde, verbrachte sieben Jahre als Kriegsgefangener in Hanoi. Die hohe Mauer um das spöttisch "Hilton-Hotel" genannte Gefängnisgelände existiert heute noch - als Touristenattraktion. Douglas Peterson existiert gleichfalls heute noch - als US-Botschafter in Hanoi mit einheimischer Ehefrau. Vietnam ist anders - anders als viele von uns vor 30 Jahren dachten, anders als man heute denkt.

Von Amerikaner-Haß ist nach aussen hin nichts mehr zu spüren. Die Amerikaner waren für die Vietnamesen Gegner wie Chinesen, Mongolen, Cham- und Khmer-Völker, Franzosen und Japaner, und ausgerechnet die Supermacht haben sie in dem (auf beiden Seiten äußerst brutal geführten) Kleinkrieg besiegt! Das genügt ihnen. Heute sind die Amerikaner nützlich, weil sie Geld ins Land bringen, das nicht mehr aus Rußland kommt. Seit 1975 ist ganz Vietnam unter kommunistischer Herrschaft, aber seit 1986 wird überwiegend auf kapitalistische Weise Wirtschaft betrieben ("Doi Moi"). 1995 ist Vietnam gar dem USA-nahen ASEAN-Bündnis der südostasiatischen Staaten beigetreten: zum Schutz vor chinesischem und japanischem Imperialismus und um der EU näher zu rücken. Asiatischer Pragmatismus!

Österreich hat Südostasien zu einem Schwerpunkt der Bildungszusammenarbeit erkoren und stößt dabei Türen am leichtesten in Vietnam auf, wo die Alphabetisierung weit über dem Durchschnitt der Nachbarländer liegt. Darüber berichten mehrere Autoren in einem informativen Büchlein, das der bekannte ORF-Journalist Helmut Opletal herausgegeben hat, der 1975 als in Peking studierender Stipendiat, 1984 und 1996/97 als Journalist in Vietnam war und auch in der Österreich-Vietnamesischen Gesellschaft mitarbeitet.

Das Buch enthält Vorträge, die von österreichischen und vietnamesischen Referenten bei einem Symposium in Wien im Sommer 1998 gehalten wurden. Sie spiegeln die jüngste Entwicklung in Vietnam anschaulich wider: Aus einem Land der Hungersnöte ist ein erfolgreicher Exportstaat (Reis, Getreide, Kaffee) geworden. Die Inflation, die bereits jenseits von 1.000 Prozent wütete, ist auf rund fünf Prozent gedrosselt. Die allerletzte Entwicklung (Rückgang der Auslandsinvestitionen) hat allzu kühne Hoffnungen auf eine Spitzenreiterrolle in Asien ebenso wieder etwas gedämpft wie die langsame Verbesserung der Produktivität und die Zunahme von Schattenwirtschaft und Korruption.

Aber die Richtung stimmt. Sie hat in den letzten zehn Jahren im Norden wie im Süden die Markthallen gefüllt und viele Straßen in Großstädten in Basare verwandelt. Davon können sich auch die Touristen überzeugen, die immer häufiger dieses Land der Anmut und Schönheit mit seinen fleißigen Menschen, den vielen Denkmälern seiner Jahrtausende alten Kultur, den Reizen seiner Landschaft und den Verführungen seiner einfallsreichen Küche als Ziel auswählen.

Für alle, die noch schwanken: Vietnam ist eine Reise wert! Der von Helmut Opletal herausgegebene Band (auch ein Video des ORF ist zu diesem Thema verfügbar) ist eine wertvolle Orientierungshilfe für eine solche Reise. Auch Christa Esterhazy, langjährige Referentin für Entwicklungszusammenarbeit bei der Katholischen Frauenbewegung Österreichs und Vietnam-Besucherin im Auftrag einer christlichen Hilfsorganisation, stellt darin fest: "Vietnam ist anders."

Es gibt keine offizielle Religionsverfolgung, Tempel und Pagoden können von Einheimischen und Besuchern frei und gefahrlos besucht werden. Auch offizielle Touristenführer tun es, versichern zwar, sie seien "selbstverständlich nicht abergläubisch", zünden jedoch trotzdem Räucherstäbchen an, zumindest zur Verehrung der Ahnen. Konfuzius ist immer noch stärker als Ho Chi Minh, der im übrigen offiziell als bescheidener, nicht als triumphierender Volksheld verehrt wird. (Daß das Land für seine Einbalsamierung durch russische Experten bis heute 8000 Dollar pro Monat zahlen muß, verfluchen auch Regimetreue schon.)

Im Schlußteil fragen sich politische Exponenten der 68er Generation, ob sie sich ihrer antiamerikanischen Politparolen von einst heute schämen müssen. Nein, finden sie selbstverständlich und haben sogar recht, denn weit bessere Begründungen als sie selbst hat längst der seinerzeitige US-Verteidigungsminister Robert McNamara geliefert, dessen äußerst selbstkritisches Buch "In Retrospect" man auch in einer Straßenbuchhandlung in Saigon erstehen kann.

Doi Moi: Aufbruch in Vietnam. Herausgegeben von Helmut Opletal Beiträge von Helmut Opletal, Christa Esterhazy, Hoang-Giang Dang, Le Dang Doanh, Werner Clement, Georg Lennkh, Oskar Weggel, Georg Breuer, Wilhelm Dantine, Helmut Kramer, Peter Kreisky, Georg Hoffmann-Ostenhof.

Brandes & Apsel/Südwind, 119 Seiten, Pb., öS 181,-/e 13,155

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