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Wie aus stummen Mumien beredte Zeugen werden

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Ein vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziertes 1,6 Millionen Schilling teures Projekt beweist es: Das Interesse der Wissenschaftler an den altägyptischen Menschenmumien ist nun auch in Wien neu entfacht. Ausgelöst wurde es durch die Computertomographie.

Das moderne Röntgenuntersu-chungsverfahren macht aus schweigenden Mumien beredte Zeugen. Noch dazu ohne sie mühsam auf ihren mit Harz getränkten quer, schräg und längs gebundenen Leinenbandagen wickeln zu müssen. Außerdem sind aus den detailgenauen Bildern von Zähnen und Knochen allfällige Deformationen, Unfälle, gewisse Krankheiten, Körpergröße und Geschlecht sowie das ungefähre Sterbealter effizienter feststellbar als durch klassische Röntgenaufnahmen. Nicht zuletzt kann geortet werden, ob und wo es zugängliche Körperöffnungen für Gewebeentnahmen per Sonde gibt und ob zwischen den Bandagen der Magie zugewiesene Amulette, Schmuckgegenstände, Pflanzen oder Papyri stecken.

An der bis 1997 laufenden interdisziplinären Untersuchungsreihe sind drei Personen führend beteiligt: die Ägyptologin Elfriede Haslauer von der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung des Kunsthistorischen Museums, der Anthropologe Karl Großschmidt vom Institut für Histologie der Wiener Universität und der Röntgenex-perte Oberarzt Michael Urban vom Sozialmedizinischen Zentrum Ost (SMZ-Ost).

Beigezogen wird ein Hals- und Nasenspezialist aus Deutschland, der bereits an einem Mumienprojekt in München mitgearbeitet hat. Er holte durch die Nasenöffnungen der Toten - also dort, wo die ägyptischen Einbalsamierer das Gehirn mit Metallhäkchen entfernten, während sie die Eingeweide operativ entnahmen - organische und anorganische Reste aus dem Körper.

Untersucht werden die mit Natron (oder/und Salz?) ausgetrockneten alten Ägypter in dem mit modernsten medizinisch-technischen Geräten ausgestatteten SMZ-Ost. Bislang wurden vier von 26 Mumien (separat deponierte Körperteile wie Köpfe und Gliedmaßen nicht einbezogen) aus dem Besitz des Kunsthistorischen Museums durchleuchtet. Die genaue Auswertung der Befunde ist noch nicht abgeschlossen. Feststeht vorläufig, daß die Toten rund 1,50 Meter groß waren. Sie hatten zu ihren Lebzeiten der Oberschicht angehört. Als solche konnten sie sich die Prozedur des Einbalsamierens leisten, von der sie glaubten, diese garantierte ihnen Unsterblichkeit.

Eine als Kindermumie deklarierte, von einem feinen Leinentuch umhüllte und mit Binden aus zerschnittenen alten Kleidern bandagierte Leiche bestand nur aus einem Oberkörper. Ein Sarg enthielt überhaupt bloß einen Vogel - wohl balsamiert, wie es bei heiligen Tieren von Falken und Ibissen bis zu Stieren, Katzen und Pavianen üblich war.

Einer weiblichen Mumie hatte man zwei Kinder mitgegeben: eines auf dem Bauch und ein anderes zwischen den Beinen. Bei einer dritten Mumie zeigte sich, daß die Aufschrift auf dem Sargdeckel nicht dem Inhalt entsprach. Handelte es sich doch nicht, wie angegeben, um eine Frau, sondern um einen Mann.

Die meisten Mumien des Kunsthistorischen Museums dürften ins 8./7. Jahrhundert v. Chr. zu datieren sein, einige ins 11. Jahrhundert v. Chr. und wieder andere in pto-lemäische Zeit (332 bis 30 v. Chr.). Schlüsse auf ihr Alter konnten allerdings bislang lediglich aus dem Dekorationsstil ihrer Särge und Kartonagehüllen gezogen werden.

Kartonagehüllen bestehen aus mehreren Schichten von Leinwandbandagen, die mit einer Stuckschicht überzogen und ab dem 9. Jahrhundert v. Chr. bemalt worden sind. Auf der Kartonage der als Frau deklarierten Mumie sind ein großer Schmuckkragen, darunter in Rot und Schwarz die Himmelsgöttin Nut in ihrer Funktion als Schutzgöttin für den Toten sowie ein Inschriftstreifen zu sehen. Gesicht und Hals hat man vergoldet. Da Tote stets als Lebende dargestellt werden, sind die Augen geöffnet.

Die Autorin ist

freie Journalistin in Wien.

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