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Der Ikonenmaler von Sagorsk

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„Der Film, den es nicht gibt“ — so DIE FURCHE 51/52 1969 — hat nun endlich Österreich erreicht, ein stolzer Erfolg ständiger Bemühungen und unablässiger zäher Forderungen eines kleinen Häufleins Begeisterter (zu denen nicht ohne bescheidenen Stolz sich auch der Verfasser dieser Zeilen zählen kann) oder sagen wir echter „Filmnarren“: Andrej Tarkowskis Opus zwei, sein geniales Zeitbild „Andrej Rubljoto“ läuft nunmehr endlich in Wien...

Hier die Schwierigkeiten noch einmal aufzuzählen, die dieses größte sowjetische Filmwerk seit Eisensteins „Iwan der Schreckliche“ in seinem Heimatland hatte, erübrigt sich — dieses einmalige Filmkunstwerk hat eine solch billige Reklame nicht nötig (welcher Art sie waren und sind, läßt sich unschwer an den brav ausgerichteten Kritiken in kommunistischen Zeitungen erkennen, noch heute!); auch in seiner jetzigen etwas gekürzten Fassung — 1965 noch war der Film als zweiteiliger Vierstunden-Film konzipiert und dürfte in Tarkowskis Erstfassung auch so lang gewesen sein — verleugnet der Film weder seine Größe noch seine Absicht.

Andrej Rubljow (um 137 bis 1430) gut als der größte Maler des mittelalterlichen Rußlands; als sein Meisterwerk gilt die berühmte Dreifal-tigkeits-Ikone im Kloster von Sagorsk. Über sein Leben gibt es nur wenig exakte historisch-biographische Daten, so daß Tarkowski große Möglichkeiten zur filmdichterisch-freien Gestaltung seiner Idee gegeben waren: „Es wird kein historischer und kein biographischer Film werden — was mich packt, ist der Prozeß der künstlerischen Reife des Malers, die Analyse seines Talents. Hier interessiert mich das Thema: die Persönlichkeit des Künstlers im Zusammenhang mit der Epoche.“

Und so schuf der geniale Regisseur und Drehbuchautor in einer Folge von neun Kapiteln (und einer farbigen Schlußsequenz mit Werken Rubljows), die vorwiegend philosophisch-grüblerische Dialoge darstellen, die Geschichte der Selbstwer-dung eines Künstlers, einer nonkonformistischen Persönlichkeit in einer Zeit der Gewalt, Unterdrückung, Unfreiheit — worin zweifellos Parallelen zü unserer Zeit gesehen werden können. Nicht die keineswegs religiös zu deutenden Auseinandersetzungen mit der russischen Kirche besitzen Bedeutung, sondern die in Rubljow verkörperte Figur des Prometheus. Der religiöse Hintergrund ist einzig historisch richtiges Zeitkolorit, nicht polemische Tendenz, ein Symbol für die Situation des individualistischen Idealisten — oder des Künstlers, der in seinem Schaffen eine Aufgabe sieht, nicht Ruhm oder Gelderwerb — in unserer Ära. Trotz aller Tragik, Zweifel, der Selbstzer-fleischung und der Bedrohung durch die Umwelt ist der wunderschön photographierte Film voll Optimismus: vom Prolog — der Ballonflug als Ausdruck eines Strebens — bis zum Schluß, dem geglückten Glockenguß, zieht sich ein schwerer Weg, der mit einem — zumindest innerlichen — Sieg endet: die Freiheit des Gewissens ...

Daß die österreichische Filmprä-dikatisierungskommissdon sich aus lokalpatriotisch blinden Sexomanen ebenso zusammensetzt wie aus Nichtfachleuten, ist zumindest seit „Der Reigen“ schon weithin bekannt; daß sie aber auch nicht genügend Intelligenz besitzt, die Bedeutung und den Wert eines Filmkunstwerkes wie „Andrej Rubljow“ zu erkennen, geht aus der Ndehtzuerteilung des Höchstprädikates für diesen Film hervor, was sich in der Begründung durch Formulierungen wie „Erwartungen, Zeuge des Entstehens von Ikonen durch Andrej Rubljow sein zu können, werden nicht erfüllt und sind Anlaß für Enttäuschungen“ in grotesker Weise manifestiert. O sancta simplicitas — wer wundert sich da noch über die kulturelle und geistige Tief Standsituation in Österreich!

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