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Der „Konsens“ war Nonsens

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Zu früh gebrüllt, Löwe! Der Durchbruch bei den Verhandlungen zur Scheidungsreform, den selbst wenig regierungsfreundliche Gazetten in der Vorwoche registrieren zu müssen glaubten, war gar keiner. Der publizistisch geschickt verkaufte Kompromißvorschlag der SPÖ mit dem Einschwenken auf die vom Katholischen Familienverband geforderte Abwägungsklausel hatte einen wesentlichen ' Schönheitsfehler: die Fristenautomatik. Das Gerede vom „Konsens“ erwies sich somit - leider - als Nonsens.

Zwischen den Vorstellungen der Sozialisten, der Oppositionsparteien und der Kirche liegt vor allem noch der oben erwähnte Streit-

punkt. Einigkeit herrscht darüber, daß gegen den Widerstand eines Ehepartners eine Ehe frühestens nach drei Jahren Trennung geschieden werden kann - dann aber trennen sich die Wege, und es läßt sich zwar vermuten, aber noch nicht endgültig absehen, wer bei der parlamentarischen Abstimmung mit wem ein Stück Weges gehen wird.

Während den Freiheitlichen die Drei-Jahre-Frist ausreicht, sieht der jüngste Vorschlag der SP, die diesmal mehr auf Biegen denn auf Brechen zu operieren scheint, erst nach weiteren drei Jahren der Trennung eine automatische Ehescheidung auf Verlangen eines Ehegatten vor. Vorher soll der Richter abwägen, ob die Scheidung den ehewilligen Partner härter träfe als die Aufrechterhaltung der Ehe den scheidungswilligen. Diese „Abwägungsklausel“ ist vom Katholischen Familienverband übernommen, der freilich jede „Fristenlösung“ im neuen Scheidungsrecht ebenso entschieden ablehnt wie die ÖVP.

AZ-Chefredakteur Manfred Scheuch verteidigt den SP-Vor-schlag mit dem Hinweis, das Gesetz müsse für den Menschen da sein, nicht aber der Mensch für das Gesetz. Sicher, Rechtsklarheit ist gut, aber zuviel Vereinfachung kann bisweilen bitteres Unrecht hervorrufen. Man muß vom Richter so viel Flexibilität verlangen können, daß er jeden einzelnen Fall, hinter dem ja Menschenschicksale stehen, eigens überdenkt und beurteilt, sich aber nicht nur stur hinter einem Paragraphen verschanzt.

Daß dem Ansehen von Ehe und Familie ein rigoroses Scheidungsrecht allein nicht dient, läßt auch der Präsident des Katholischen Familienverbandes, Dr. Helmuth Schattovits, durchblicken: „Wir behindern das Ehebewußtsein und Eheverständnis, wenn wir zu streng sind. Man darf keine Scheunentore aufmachen, aber auch keine Betonmauern aufbauen.“ Aber wann setzt endlich die Regierung die längst fälligen materiellen und immateriellen Maßnahmen zur Aufwertung des Ehe- und Familienlebens?

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