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Ein gewonnenes Scharmützel
Der Prozeß gegen fünf Angehörige der Roten Brigaden wird in Italien als großer Sieg des Staates gefeiert. Die Italiener sind stolz darauf, daß sich endlich genügend Geschworene ein Herz gefaßt haben und — Edlen Drohungen der Terroristen zum Trotz - bereit waren, Renato Curcio und seine Kumpane zu verurteilen. Noch vor vier Monaten hatten sich 16 Geschworene als krank gemeldet oder offen ihre Angst vor den Attentätern zugegeben, so daß aus prozeßrechtlichen Gründen das Verfahren auf einen späteren Zeitpunkt vertagt werden mußte.
Seit dem 16. Jänner, dem Tag der Kapitulation des italienischen Staates vor den Drohungen der Roten Briga- den.jst injtpliftą,eiae rege Diskussion über das WeSSri der Angst, des Mutes und der Zivilcourage im Gange. Alle Parteien von der KPI bis zu den Liberalen, ja sogar die kommunistisch-sozialistische CGIL-Gewerkschaft, haben fast einmütig ihre Anhänger auf die Verteidigung des demokratischen Staates und auf das Gemeinwohl verpflichtet. Eine weitere Schande dieser Art könne sich der Staat nicht gefallen lassen, sonst sei es endgültig um ihn geschehen.
Renato Curcio, Absolvent der Soziologischen Hochschule von Trient und Spezialist in terroristischen Angelegenheiten, hat keine Zeit verloren und kurzweg alle auf der anderen Seite der Schranken - Staatsanwälte, Richter und Geschworene - als Söldlinge des Systems bezeichnet. Der Prozeß gegen die Roten Brigaden ist für ihn eine Kriegshandlung, die mit einer anderen Kriegshandlung beantwortet werden müsse.
Nicht zuletzt nahm Curcio auch die Kommunistische Partei aufs Korn. Für Curcio sind Berlinguer und seine Genossen nichts als Verräter am ech ten Kommunismus. Im Gegensatz zur roten KPI wollen die Roten Brigaden „feuerrot“ sein. Jedes Mittel - Überfälle auf Banken und Eisenbahnen, Entführungen, Schüsse auf die Beine und über die Gürtellinie - gelten ihnen als erlaubt. Der „Historische Kompromiß“ würde, nach Curcio, nur zur Kapitulation der kommunistischen Kräfte des Landes führen, nachdem im Centro Sinistra Linkssozialisten, Sozialdemokraten und Republikaner von den christdemokratischen Machtträgern nur am Narrenseil herumgeführt worden seien. Die politische Bedeutung der Roten Brigaden und ihre besondere Gefährlichkeit bestehen darin, daß viele junge Italiener ähnlich denken wie die Angehörigen der Terroristengruppen, deren noch nicht verhaftete Mitglieder - wohl viele tausend - Tag für Tag durch Gewaltakte aller Art von sich reden machen. Zwar verurteilen die meisten Jugendlichen das allzu blutige und grausame Vorgehen der Roten Brigaden. Unter dem Einfluß eines schlecht verdauten Marxismus und ihrer eigenen Halb- und Viertelbildung sehen aber auch sie im Bestehen des italienischen Staates eine Gewaltherrschaft, die nur durch Gewalt überwunden werden kann.
Nach der Prozeßeröffnung konnte Italien nur einen Eintagssieg des demokratischen Staates feiern. Erst wenn sich weder die Richter noch die Geschworenen noch die Journalisten jemals wieder einschüchtem lassen, erst wenn sich der demokratische Staat gegen die Roten Brigaden durchsetzt, ohne selber auf Terrormethoden oder die Todesstrafe zurückgreifen zu müssen, wird Italien nicht nur ein Scharmützel gewonnen, sondern einen wirklichen Sieg errungen haben.
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