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Mörderische Erpressungsmanöver

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Eine Serie mörderischer Erpres­sungsmanöver italienischer Terroristen gefährdet den Zusammenhalt der Re­gierung Arnaldo Forlani. Während ein 48stündiges Ultimatum der „Roten Brigaden“, das am Montag abend ab­lief, das Leben des entführten Richters Giovanni d’Urso von der Veröffentli­chung der Terroristen-Kommuniquésin den Massenmedien abhängig machten, zeigten Forlanis sozialistische Koaliti­onspartner deutliche Anzeichen von Nachgiebigkeit (ihr Parteiorgan „Avanti“ hatte schon vor dem Ultima­tum Texte der Terroristen veröffent­licht).

Die kommunistische Opposition wie­derum nützt die Chance, sich als uner­bittlich und fest gegenüber den Terrori­sten zu präsentieren.

Fast alle großen Zeitungen Italiens haben sich auch auf dramatische Ap­pelle der Familie des entführten Rich­ters nicht bewegen lassen, den Terrori­sten durch Veröffentlichung ihrer voll­ständigen Texte noch mehr Echo zu verschaffen, als sie ohnehin schon durch ihre Aktionen erhalten haben.

Dabei spielt die Überlegung eine Rolle, daß jede bisherige Nachgiebig­keit nur neue Forderungen der „Roten Brigaden“ hervorgerufen hat. Das gilt vor allem für das große Interview, das das italienische Nachrichtenmagazin „Espresso“ Anfang Jänner trotz der Verhaftung der beiden verantwortli­chen Redakteure veröffentlicht hatte.

Inzwischen ist bekannt geworden, daß dieses Interview mit den Terrori­sten durch den linksradikalen florenti- nischen Univ.-Prof. Senzani vermittelt wurde, einen inzwischen untergetauch­ten Experten für Strafvollzug, der bis vor kurzem Zugang zu allen Gefängnis­sen hatte, jedoch mit den Roten Briga­den verbunden, wenn nicht einer ihrer maßgebenden Chefs ist. Auch das „Espresso“-Interview wird ihm zuge­schrieben.

Der Text vermittelt Einblick in die Geistesverfassung der Terroristen, die am Silvesterabend den Carabinieri-Ge- neral Galvaligi ermordet haben und seit bald vier Wochen den römischen Rich­ter d’Urso gefangenhalten. Ohne jede Spur von Logik stellen die Terroristen ihre Aktionen dar.

Sie seien „nicht so naiv“ zu glauben, daß es jetzt in Italien eine „Revoluti­onsbereitschaft bei den Massen“ gäbe, versichern die „Roten Brigaden“, um im gleichen Satz zu behaupten, es be­stünden „objektive und subjektive Be­dingungen für einen entscheidenden Übergang zum Bürgerkrieg“.

Entschieden leugnen die Terroristen, von ausländischen Zentralen gesteuert zu werden, aber sie dementieren nicht, Waffen über die „Palästinensische Be­freiungsfront“ zu erhalten.

Der verhaftete Journalist Scialoja hatte zu Protokoll gegeben, es sei nicht auszuschließen, daß der Abdruck des Interviews die Lage des entführten Richters d’Urso verbessern, wenn nicht sogar seine Freilassung herbeiführen könnte.

Doch wie Hohn auf diese Vermutung las sich dann das Kommunique Nr. 8 der Terroristen, in dem sie ihr „Todes­urteil“ gegen d’Urso verkündet haben; es könne allerdings aus Gründen der politischen Opportunität verschoben, ja aufgehoben werden, wenn „die revo­lutionären Massenorganisationen in den Gefängnissen“ dies für richtig hiel­ten.

Um die Meinung der inhaftierten Terroristen zu erfahren, müsse diesen Zugang zu den Massenmedien ver­schafft werden.

Die Publikation ihres Interviews scheint die Brigadisten auf den Ge­schmack gebracht zu haben. Aber auch die von der Regierung Forlani „freiwil­lig“ verfügte Schließung der Strafan­stalt auf der Insel Asinara hat ihnen of­fenbar den Eindruck vermittelt, es gäbe eine gewisse Nachgiebigkeit.

Die Regierungsparteien in Rom sind darüber ziemlich erschrocken; sie spü­ren, daß sie - wenn auch ungewollt - den Anschein der Erpreßbarkeit er­weckt haben. Der christdemokratische Parteichef Flaminio Piccoli gibt zu, daß der italienische Staat vor dem „schwersten und unannehmbarsten“ al­ler bisherigen Erpressungsversuche steht.

Indem die Terroristen nicht wie ge­wöhnlich die Freilassung von Gefange­nen verlangen oder, wie in ihrem Inter­view, die „Schließung aller Gefängnis­se“, sondern den Zugang zu den Mas­senmedien für Strafgefangene, fordern sie scheinbar weniger, doch in Wirk­lichkeit mehr.

Wenn auch jedermann klar ist, daß es sich um eine Farce handelt, wenn Terroristen - noch dazu verurteilte - ei­nen Richter richten wollen, so sind sich doch fast alle Politiker Italiens darin ei­nig, daß sich der Staat nicht einmal zum Schein auf dergleichen einlassen kann. Nicht zuletzt deshalb, weil dies auf eine praktische Anerkennung der „Roten Brigaden“ als quasi-legale Bür­gerkriegspartei hinausliefe.

Das Absurde der Lage ist allen Ver­antwortlichen bewußt, aber auch, daß das Schicksal des Richters d’Urso im Grunde nur von der Willkür seiner Ent­führer abhängt.

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