Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
„Welchem Rußland weint er nach?“
„Man weint Rußland auf verschiedene Art nach: reine Tränen weinen Leute, die das Schicksal in die Fremde verschlug und die auf jede Nachricht aus der Heimat großen Wert legen. Tränen des Zorns vergießen diejenigen, für die Rußland einst das Paradies auf Erden war und die nach der Oktoberrevolution aus diesem Paradies wie die Sünder vertrieben wurden. .Wehklagen über Rußland', so betitelte die antisowjetische Zeitung .Nowoje russkoje Slowo' ihre Besprechung des Romans .August 1914' von Solschenizyn. Der Rezensent rechnet es Solschenizyn als Verdienst an, daß ,er sein Buch so geschrieben hat, wie man zu Zeiten schrieb, als es sich im Russischen gehörte, das Wort .Gott' groß zu schreiben!
So versuchen die Fürsprecher der Großschreibung der Wörter .Gott' und ,Zar' ihr eigenes Mißgeschick als allgemeines Unglück darzustellen. Aber daraus wird nichts. Im Oktober 1917 haben die werktätigen Massen unter Lenins Führung einen Sieg errungen. Das war das markanteste und bedeutsamste Ereignis in der Geschichte der Menschheit, das war ein Glück für alle Generationen. Wer versucht, das Licht des Oktober 1917 mit einem Bändchen des .August 1914' zu verdecken, handelt wie der Esel aus der Fabel, der mit seinen Ohren die Sonne verdecken wollte.
Kürzlich habe ich den gut argumentierten und leidenschaftlichen Artikel des finnischen Schriftstellers Martti Larni ,Wenn die Geschichte in die Ecke gestellt wird' gelesen. Er schreibt: .Solschenizyn verlegt das Geschehen seines Romans in die Zeit vor der Revolution, aber er versucht Parallelen zu unseren Tagen zu ziehen. Ein aufmerksamer Leser, der sich einigermaßen in der Geschichte Europas auskennt, findet jedoch bald heraus, was des
Pudels Kern ist. Ist .August 1914' absichtlich gegen die Sowjetunion gerichtet..., so kann man von seinem Verfasser sagen, daß gerade er zu den .verantwortungslosen Intellektuellen gehört, die ihr Land und seine Geschichte nicht kennen und ihr Volk nicht lieben'. Somit sind sich unsere Freunde und unsere Feinde in einem Punkt einig: Der Roman .August 1914' ist absichtlich gegen die Sowjetunion gerichtet. Nur sind dabei die Gemütsbewegungen verschieden: Die Feinde der Sowjetunion empfinden eine hämische Freude und reiben sich vergnügt die Hände,
Karikatur: Nebelspalter während bei unseren Freunden Solschenizyns Werk zumindest Befremden auslöst. Einige Anspielungen aber, aus denen sich ergibt, daß der Verfasser nicht abgeneigt wäre, die Deutschen als Sieger zu sehen, sind geradezu lästerlich.
Und welchem Rußland weint, zusammen mit den weißen Emigranten, Alexander Solschenizyn nach? Wenn es das Rußland ist, in dem sich die Großgrundbesitzer so wohl fühlten, dann brauchen wir es nicht.“
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!