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Von Feinden, Nachbarn, Freunden

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Der gebildete Österreicher meint sich in Mitteleuropa recht fundiert auszukennen, liegt sein Land doch „einem starken Herzen gleich” in der Mitte Europas.

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Der gebildete Österreicher meint sich in Mitteleuropa recht fundiert auszukennen, liegt sein Land doch „einem starken Herzen gleich” in der Mitte Europas.

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Außerdem hat ein echter Wiener, so sagt man, zumindest einen Vorfahren aus einem östlichen Nachbarland in seiner Ahnenkette (vor allem böhmische Großmütter werden gerne genannt), was nicht zuletzt das Wiener Telefonbuch auch belegt. Nicht zuletzt werden in Politik und Wirtschaft stets ein besonderes Naheverhältnis zu unseren östlichen Nachbarländern wie auch besondere Kenntnisse über diese betont.

Wofür brauchen wir da einen Amerikaner, der uns unsere Geschichte erzählt, ist also eine Entgegnung, die Lonnie B. Johnson in Osterreich wohl schon des öfteren zu hören bekommen hat, wenn er hier auf sein Buch angesprochen wurde. Nun, Johnson hat nicht über unsere Geschichte geschrieben, oder besser gesagt, nicht nur über unsere Geschichte. Wenn sich ein Mitteleuropäer dem Begriff Mitteleuropa (Johnson verwendet den Begriff „Central Europe”, der nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Begriff „Mitteleuropa” ist) nähert, so tut er dies in der Begel, gewollt oder ungewollt, mit einer nationalistisch gefärbten Brille. Ein tschechisches Geschichtsbuch erzählt eben eine andere Geschichte als das Osterreichische, und mittlerweile erzählt auch das slowakische Geschichtsbuch eine andere, als die beiden zuvor genannten.

Die Herkunft Johnsons (nämlich aus Minnesota) und seine daraus resultierende relative Unbefangenheit ist bei seinem Projekt, die Geschichte Mitteleuropas zu erzählen, also zweifellos ein Vorteil. Da Johnson seit über zwanzig Jahren hier in Mitteleuropa lebt und arbeitet, hatte er ausreichend Gelegenheit, sich fundierte Kenntnisse vor allem der sozialpsychologischen Besonderheiten der Völker dieser Be-gion anzueignen. Für uns Österreicher ist Mitteleuropa in erster Linie der Baum in Europa, der jahrhundertelang unter dem Einfluß der Habsburgermonarchie gestanden hat. So leicht macht es sich Johnson natürlich nicht mit der Definition seines Themas. *

Ein Merkmal des Selbstverständnisses der mitteleuropäischen Nationen ist, daß sie sich generell als Vertreter der westeuropäischen Kultur sehen, der sie schon seit der Jahrtausendwende aufgrund der Christianisierung durch die römisch-katholische Kirche angehören. Südosteuropa und Osteuropa hingegen wurden von Byzanz aus christianisiert, was zur Etablierung des Orthodoxen Christentums und fundamental anderer Gesellschaftsstrukturen führte.

In weiterer Folge war Mitteleuropa vom Südosten her jahrhundertelang durch das Osmanische Beich bedroht, was zur Etablierung der Metapher des „Bollwerks” in der Ge-schichtssschreibung und dem kollektiven Bewußtsein aller mitteleuropäischer Länder als Bollwerke der westlichen Kultur gegenüber den Bedrohungen aus dem Osten führte. Allerdings ist das Verhältnis Mitteleuropas zu Westeuropa nicht nur durch die Bollwerk-Metapher geprägt, sondern auch durch eine jahrhundertelang andauernde Bückständigkeit gegenüber Westeuropa, was sich sowohl auf die gesellschaftlichen wie auch auf die ökonomischen Bevolutionen und Modernisierungen bezieht.

Mitteleuropa ist für Johnson vor allern aber eine Frage der Selbstwahrnehmung. Johnson zitiert den tschechischstämmigen Politikwissenschaftler Jaques Bupnik mit dem Satz „Sag mir wo Mitteleuropa ist, und ich sage dir von wo du kommst”. So wird zum Beispiel bei einem romantischen westslawischen Ansatz Mitteleuropa zu definieren, Deutschland aus Mitteleuropa ausdrücklich ausgeschlossen, indem Mitteleuropa als der Baum in Europa definiert wird, der von kleinen friedensliebenden Nationen bewohnt wird, die das historische Unglück hatten, zwischen den zwei imperialistischen Großmächten Deutschland und Bußlajid zu liegen.

Natürlich kann Johnson auf 296 Seiten Text nicht detailliert über jedes Ereignis von über 1500 Jahren Geschichte berichten, doch macht gerade Johnsons kurze und prägnante Darstellung dieses Buch zu einer kurzweiligen Lektüre. Gerade für Österreicher, die sich im allgemeinen viel darauf einbilden, über Mitteleuropa besser Bescheid zu wissen als andere, ist dieses Buch empfehlenswert.

Lonnie R. Johnson:

Central Europe, Enemies, Neighbous, Friends; 339 S., Oxford University Press 1996. Erhältlich u. a. bei Shakespeare & Co, 1010 Wien, Sterngasse 2.

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