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Goethes Klassiker am Burgtheater: Ein schöner Abend - und trotzdem eine vertane Chance.

Goethes 1790 im Druck erschienenes Künstlerdrama "Torquato Tasso" handelt von der Unvereinbarkeit von handlungspragmatischem Leben und poetischer Existenz. Damit schwebt der Stoff heute nicht im luftleeren Raum, sondern berührt ganz aktuelle gesellschaftliche Fragen. Das Schauspiel vom Konflikt zwischen künstlerischem Individuum und Gesellschaft oder abstrakter: von der Spannung zwischen kulturellem und instrumentellen Wissen ist ein Kammerspiel, in dem eigentlich nichts geschieht. Seine Wirklichkeit ist nicht die des handelnden, sondern vielmehr die des leidenden Menschen, weshalb sich nicht in Taten, sondern nur in Worten das dramatische Geschehen entwickelt.

Alles geschieht in Worten

Wenn sich der Vorhang zu Stephan Kimmigs Burgtheater-Inszenierung hebt und den Blick freigibt auf einen weitläufigen, gleißend hell erleuchteten Bühnenraum (Katja Haß), über dem fest vertäut ein riesiger weißer Zeppelin schwebt, übt sich der schöngeistige Hausherr Alfons, Herzog von Ferrara (sanft bis zur Gleichgültigkeit Joachim Meyerhof) zu wohltuenden Klängen in fernöstlicher Entspannungstechnik. Seine Schwester Leonore von Este (Caroline Peters spielt die bei Goethe alles Sinnliche im Leben Abwehrende ganz ohne Pathos, als leicht neurotische, gekränkte Zicke) und ihre Namensschwester, die liebenswürdig intrigante Leonore Sanvitale (Myriam Schröder), beide in chice, sommerliche Roben gekleidet, vermitteln den Eindruck, hier handle es sich um eine Gruppe wohl situierter, aber irgendwie unzufriedener und recht leidenschaftsloser Existenzen. "Es gibt ein Glück, allein wir kennens nicht, oder wissens nicht zu schätzen." Die Diktion der Rede zeugt von Maß und Ordnung, von Selbstkontrolle, Distanz und Langeweile.

Einzig wenn von Tasso gesprochen wird, dem jungen Dichter, den man sich im "Tasso-Zoo" des herrschaftlichen Hauses hält und um den beide Damen verhalten buhlen, bekommt der sonst so gepflegte Ennui eine Nuance Temperament. Der ganz aus sich heraus Schöpferische, der seine gefühlte Wahrheit gegen alle gesellschaftliche Wirklichkeit absolut setzt, verkörpert, was alle anderen nicht sind und beliefert das leere Treiben der Gesellschaft mit allerlei Sinnangeboten, indem er ihnen das "Wirkliche zum Wesentlichen" hin deutet. Sein erster Auftritt macht seine weltfremde Abgekehrtheit deutlich und wohin sein geistiger Amoklauf ihn, das exotische Tier, führen wird: ganz untragisch vom Kopf auf die Füße.

Philipp Hochmair gibt keinen sinnierenden, abgehoben poetischen, kränklich leidenden Dichter, sondern spielt Tasso als athletischen, pubertär eigensinnigen, verbalen Kraftmeier. Sein Antipode ist Antonio, der Mann der Erfahrung, der mit tüchtigem Wirklichkeitssinn ausgestattete Mann des gesellschaftlich nützlichen Tuns. Michael Wittenborns unaufgeregter Technokrat wirkt beinahe sympathisch in der überlegenen Gelassenheit des Erfolgreichen. Der Konflikt ergibt sich ohne konkreten Anlass, ohne Gehässigkeit, ohne die Spur einer Intrige. Durch das bloße Dasein der Figuren entspinnt sich der Widerstreit von Ideal und Wirklichkeit, von Nützlichem und scheinbar Unnützlichem.

Dichter und Technokrat

Wie sehr erinnert der Konflikt an die gegenwärtige Diskussion, etwa den Streit um die Geisteswissenschaften. Hätte sich hier nicht ein Klassiker mal wieder als leicht anschlussfähig an aktuelle Debatten gezeigt? Aber Kimmig interessiert sich nicht dafür. Er verzichtet auf jegliche Aktualisierung und vertraut ganz auf den in Goethes kunstvollen Versen verborgenen Lebensgehalt, streicht aber den Text so radikal, dass es schwer zu erkennen ist, worum es ihm überhaupt geht. Die Aufführung ist große Kunst darin, von etwas zu sprechen, ohne es zu tun. Vom polemischen Elan mit der etwa Peter Steins legendäre Tasso-Inszenierung 1969 arbeitete, um mit Goethes Schauspiel die eigene Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft zu spiegeln, ist hier nichts zu spüren. Heute taugt das Theater offenbar nicht als Medium der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Aber auf welche Weise ist diese Inszenierung in unsere Gegenwart eingelassen, will sie nicht nur ein weltloses, eitles Spiel gleichgültiger Zeichen sein? Frei nach Heiner Müller müssen wir sagen: dieses Theater ist bloß eine schöne Boutique.

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